Deaf Havanna und „Rituals“: Backstreet‘s back?

Das neue Album von Deaf Havanna weckt Assoziationen - und die tun weh.
Deaf Havana Rituals Cover

Klar, es ist nie ratsam, die Vorgänger-Platte zur Hand zu nehmen, wenn man eigentlich die neue Platte besprechen sollte. Aber es ist so naheliegend, dass man es tun muss. Und bei Deaf Havana macht das einfach große Freude.  „All These Countless Nights“ war aber auch ein echtes Brett. Die Frage ist nur, was man macht, wenn man einen solchen Erfolg zu verbuchen hat? Baut man darauf auf oder entwickelt man den Stil weiter? Deaf Havanna haben sich für einen merkwürdigen Mittelweg entschieden. Grundsätzlich wird sich weiter an den bewährten Indie-Sounds orientiert, allerdings werden weite Ausflüge unternommen. Auch hier stellt sich eine Frage, und zwar eine sehr existenzielle: Soll es von diesem Ausflug einen Rückweg geben?

Die zwölf Songs, Intro mal ausgenommen, werfen im Endeffekt noch viel mehr Fragen als Antworten auf. Mit „Sinner“ geht die Reise durch „Rituals“ los und dieser Track hat es in sich. Beim ersten Hören ist er etwas schwerfällig, etwas stört, doch es ist nicht ganz klar was. Erst beim zweiten oder dritten Mal fällt der Groschen. „...wie eine Boygroup.“ Der erste Gedanke daran wirkt absolut absurd, doch es ist alles dabei: Das elektronische Schlagzeug, dass viel zu viel Bass hat, bis hin zum Frauenchor, der im Break begleitet von rhythmischem Klatschen den Refrain weitersingt. Und so geht es weiter, verschiedenste Varianten von Boygroup-Pop werden durchexerziert. Ist das in „Sinner“ oder „Rituals“ noch ganz nett, so erreicht es in „Hell“ ein absolut unerträgliches Level. Ein Track, der kommerziellen Erfolg garantieren würde, wenn man sich nach dem Hören noch daran erinnern würde. Auch wenn am Schluss nochmal raue E-Gitarren daran zu erinnern versuchen, dass das hier immer noch Rock sein soll: zu wenig, zu spät.

„Saviour“ hingegen macht seine Sache besser. Eine emotionale, vielleicht ein wenig sehr plakativ romantische Nummer. Allerdings bleibt auch bei diesem Song wenig hängen. „Fear“ fällt dann nochmal komplett aus dem sowieso schon schwer zu erkennenden Muster. Dieser Track klingt einfach nur, als würden sich Deaf Havanna um einen Platz in einer „Club-Hits“-Playlist bewerben. Allerdings ist es schwer, an diesem Stück etwas auszusetzen. Klar, es ist ein wenig austauschbar, so wie die meisten Sounds in diesem Bereich. Doch es ist ein ruhiger und solider Beat, der Track baut sich einen eigenen Spannungsbogen und hält diesen großartig aufrecht. Doch trotzdem ist „Fear“ einfach fehl am Platz. Auch wenn Deaf Havanna auf dem Album immer wieder wie One Direction, NSYNC, aber am meisten wie die Backstreet Boys klingen, so passt dieser Song einfach nicht in die Tracklist. Das selbe versuchen sie dann in „Heaven“ noch einmal. Diesmal ist es aber einfach unerträglich langweilig. Aber immerhin, Futter für Antenne Bayern, oder jede andere Chartmucke wiederholende Rundfunkanstalt.

Leider ist es am Ende mehr ein Gefühl der Erleichterung, als der letzte Ton verklingt. Übermäßig viel mitgenommen hat man aus dem Album auch nicht, denn wirklich im Ohr bleibt keiner der Tracks. Es bleibt einzig und allein die Frage, warum man versucht, wie die gutaussehende und aufstrebende Vorband der Backstreet Boys zu klingen, die aufstrebend ist, weil sie gut aussieht und, naja, genauso klingt wie die Backstreet Boys.

Fazit

4.1
Wertung

Für ein Popalbum versuchen Deaf Havana zu rockig zu sein, für ein Rockalbum fehlt der Pop und für Crossover fehlt Finesse und echte Hingabe zu beiden Genres. Die wenigen Momente des Albums kann ich hier nicht nennen, da sie nach jedem Hören sofort wieder verfliegen. Doch „Fear“ nehme ich hier raus. Denn wenn man so etwas öfter hören würde, dann wäre ich vielleicht öfter in Clubs und nicht immer in meiner Punk-Spelunke.

Moritz Zelkowicz