Chefket und „Alles Liebe“: Erwartungen erfüllt - nicht übertroffen

Seit einigen Jahren treibt sich mit Chefket einer der talentiertesten deutschsprachigen, soul-beeinflussten HipHop-Künstler unter der Oberfläche herum, dem bisher nur der ganz große Wurf ausgeblieben ist. Schafft der Wahlberliner den Absprung?

Um die Antwort vorwegzugreifen: Jein. „Alles Liebe (Nach dem Ende des Kampfes)“ ist an sich bereits ein großartiger Albumtitel, der einen doch etwas fragend auf die 13 Songs der Platte loslässt. Glücklicherweise handelt es sich hierbei nicht um ein eindimensionales Konzeptalbum und auch nicht um eine lose Zusammenstellung einzelner Tracks, die es im HipHop ja zuhauf gibt. Chefket rappt und singt sich durch große Songs und solche, die in seiner Diskographie wohl eher als Platzhalter herhalten werden. Beginnen wir mit etwas Positiven.

„Aufstehen“ etwa fasst den inneren Konflikt der heranwachsenden Generation, die von all ihren Möglichkeiten erschlagen wird und die mit dem Gefühl aufgewachsen ist, alles werden zu können, in ein paar Zeilen auf den Punkt: „Wie mach ich nur das was ich liebe und damit Geld? Ackern für die Kinder oder ackern für sich selbst?“ Sowieso ist Chefket dann am besten, wenn er sich an konkreten Metaphern und Beispielen aus dem Alltag bedient, die seine hörenswerten Gedankengänge zugänglich gestalten. Passend dazu holt er sich auf „Müde & Rastlos“ mit Sido auch den Meister des Storytellings ins Boot, der simpel aber treffend die moderne Leistungsgesellschaft kritisiert: „Hineingeboren in ‘ne Welt, in der man Ellbogen braucht“. Crackavelis Part auf selbigem Song untergräbt leider die ernste Attitüde seiner beiden Vorrapper mit stupidem deutschem Gangster-Rap vom Reißbrett.

Einen der stärksten Momente bietet „Alles Liebe“, wenn sich Chefket mit der Frage nach der eigenen Zugehörigkeit und der Zurückweisung einer konservativen deutschen Gesellschaft beschäftigt. „Fremd“ ist ein starkes Aufräumen mit der Identitätskrise eines integrierten Deutschen mit Migrationshintergrund. „Zuerst war ich angepisst, dann angepasst, aber immer noch so fremd“ rappt der türkischstämmige Schwabe und fällt ein vernichtendes, weil resigniertes Urteil: „Bei so viel Hass bleibe ich viel lieber fremd“. Besonders vor dem Hintergrund der vergangenen Özil-Affäre wiegen diese Worte der Enttäuschung über so viel fehlende Anerkennung schwer.

Chefket hat verstanden, dass die besten roten Fäden die sind, die man erst mit dem zweiten Durchlauf bemerkt. Er baut keine der Songs thematisch konkret aufeinander auf, auch ziehen sich keine Narrative über mehrere Tracks. Stattdessen sind es wiederkehrende Vergleiche, indirekte Bezüge oder generell Stimmungen, die das ganze Album zusammenhalten – etwa die Nutzung von Songtiteln als Fixpunkt für seine Parts. Präsent ist außerdem der wiederkehrende, zwar immer leicht glorifizierende, Drogen-Vergleich, der die Abhängigkeit von einer bestimmten Person und das damit zusammenhängende Gefühl aber wohl am besten auf den Punkt bringt: Manche Frauen machen ihn „High“, manche üben auf ihn die Wirkung einer Zigarette aus, wie in „So Gut“: „Du bist die Kippe in meiner Hand/Du tust mir so gut/Auch wenn du schlecht für mich bist/Nimm ich einen Zug“. Etwas weniger hedonistischer Drogeneskapismus hätte diesen Songs allerdings auch gut getan.

Generell liegt auch hier ein unfreiwilliger roter Faden des Albums: Starke, kreative Ansätze, die auf Songlänge dann aber unnötig und mit zu wenig Substanz gestreckt werden. Dazu zählen nicht nur wiederkehrende Vergleiche, sondern auch die unnötig hohe Anzahl an Liebessongs: „High“, „Alles klar“, „So Gut“, „Immer“. Letzterem verleihen charmante Arrangements eine sinnliche Tiefe, die die wenig bedeutungsschwangeren Floskeln ob ihrer Eindimensionalität leider nicht verdient haben: „Alles was ich liebe, ist das woran ich glaub/Und ich glaub an uns, komm wir passen auf uns auf/Du lässt dich nicht gehen, ich lasse mich nicht gehen, wir lassen uns nicht gehen“  Schade, Chefket hätte mit seiner markanten Stimme und dem stimmungsvollen Instrumental hier die beste Möglichkeit gehabt, einen richtig starken Liebessong zu zaubern. Ein unkonventionelles, noisiges Lo-Fi-Gitarrensolo reißt den Track im Outro glücklicherweise noch raus. Seinen Hang zu popmusikalischen Experimenten hätte der Rapper darüber hinaus auch gerne weiter ausleben dürfen – so bleibt es nur eine tolle Idee, die sich aber anfühlt wie eine kreative Insel im Meer des guten Mittelmaßes.

Dieses lässt sich auch zweifelsfrei genießen, und als Chefket-Fan wird man ohnehin auf seine Kosten kommen, dafür bietet das Album eben doch so viel - dass der Mann rappen und singen kann und seinen ganz eigenen Soul hat, werden eben wenige bestreiten. Warum sich Chefket in „Work It“ trotzdem an den Kuschel-Trap im Stile von Yung Hurn oder Bausa anbiedern muss, obwohl ihm die fiebrige Audio-Erotik eines Rin völlig fehlt, weiß wohl nur er selbst. Etwas gegen den Fremdscham tut wenigstens das Bilderbuch-ähnliche Synthie-Solo, das den Song immerhin vor der Vollkatastrophe rettet. Ähnlich fragwürdig bis dreist ist in den ersten Zeilen des Openers „Gel Keyfim Gel“ auch seine offensichtliche Nachahmung von Caspers Flow auf seinem Part der Beatsteaks B-Seite „Make A Wish“ – vielleicht aber auch alles nur eine Hommage.

Glücklicherweise findet der Rapper in den letzten zwei Minuten noch zu seinen Stärken zurück: „Scheinwerferlicht“ ist ein nur von zerrissenen, romantischen Klavierakkorden unterlegter Einblick in sein Innenleben auf der Bühne, geprägt von einer entwaffnenden Intimität: „Steinwerferlicht/Das Glashaus zerbricht“. Ein großer Abschluss eines soliden Rap-Albums, das tolle Momente und ein paar Durchhänger hat, nicht besonders hervorsticht, aber auch nach schwierigen Songs ein gutes Gefühl zurücklässt. Alles Liebe eben, nach dem Ende des Kampfes.

Fazit

6
Wertung

Chefket überzeugt mit tollen Instrumentals, hier und da dem Finger in der richtigen Wunde und starken Songs voller Zweifel und Tiefgründigkeit. Trotzdem hätte die ein oder andere plumpe Liebeszeile weniger, ein paar mehr Ecken und Kanten und ein mutigeres Ausleben seiner gefühlvollen, musikalisch versierten Soul-Qualitäten „Alles Liebe“ zu einer HipHop-Platte machen können, die mehr ist, als nur das zufriedenstellende Resultat eines Künstlers, der sich nun endlich vom Status des ewigen Newcomers befreien konnte.

Julius Krämer