Reviews

Radio Havanna und „Utopia“: Neue Freiheit

Knapp drei Jahre nach „Unsere Stadt brennt“ veröffentlichen Radio Havanna am 12.01. ihr nun schon sechstes Studioalbum „Utopia“. Einiges hat sich bei den Wahlberlinern in den letzten drei Jahren geändert: Nach etwas Ärger mit diversen Plattenfirmen entschieden sich die Jungs ihr eigenes Label „Dynamit Records“ zu gründen, auf dem ihr neuer Silberling auch erscheinen wird. Dadurch haben Radio Havanna den Schritt zu einer immer mehr in Mode kommenden DIY-Band gemacht.

Passend dazu eröffnet das Album mit dem gleichnamigen Opener „Utopia“ in dem es um Neuanfänge, Verwirklichung von den eigenen Träumen und Veränderungen geht. Wenn man den Silberling in den Player legt ertönt zunächst ein lauter werdendes Gitarrenriff, welches nach kurzer Zeit von wirbelnder Snare, krachenden Toms und Klavierklängen begleitet wird. Das verheißungsvolle Intro nimmt Fahrt auf, Gitarren und Bass setzen ein und Fichtes Stimme erklingt. Pompöser Anfang des „Neuanfangs“, der den Zuhörer schon fesselt, Lust und neugierig auf die weiteren 11 Lieder macht. Im nahtlosen Übergang weiter zu „Früher oder Späti“ - passender kann man den Song nicht benennen.

Im Gegenteil zum Opener liegt in dem Lied der Fokus eher auf den eigenen Wünschen, die man in Angriff nehmen möchte - aber erst nach dem nächsten Bier und somit vertagt. Entweder tut man Dinge früher, oder man geht eben zum Späti.

Beim dritten Lied geht es dann auch schon in die politische Richtung. „Faust Hoch“ - gleichzeitig auch der Titeltrack der gleichnamigen Kampagne von Radio Havanna und politischer Aufruf gegen alle rechtsaußen bis radikalen, intoleranten Affen aus Gruppierungen wie der AfD. Als permanent politisch engagierten Band füttern Radio Havanna „Utopia“ natürlich noch mit weiteren kritische Texte, so etwa auf „Mein Name ist Mensch“ und „Homophobes Arschloch“. Bei letzterem keimt immer wieder die Zeile auf, die man in den letzten Jahren des Öfteren im Zusammenhang mit Radio Havanna gelesen hat: „Wieviel Pop darf Punk?“

Anscheinend sehr viel. Radio Havanna schaffen es als eine der wenigen Punkbands, ein gesundes Maß an Pop in ihre Lieder reinzumischen, ohne unglaubwürdig oder verstellt zu wirken. So geht „Homophobes Arschloch“ auch gut ins Ohr, bleibt da und lädt gleich zum Mitsingen ein. Weitere Vertreter dieser Sparte sind das doch eher witzige „Hassliebe“ und das vorab veröffentlichte „Anti Alles“ - das Schwelgen in der Vergangenheit mit den Liebsten, Veränderungen und die Zukunft. Vergangenheit und Zukunft sind auch Themen von „Hinter mir“ und „Phoenix“. Beide Tracks sind beide aber auch zugleich Aufruf, alles Schlechte hinter sich zu lassen und sich aus der „Asche“ zu erheben, um etwas zu ändern.

Etwas langsam vor sich trabend ist leider die Ballade „Houston“ geworden. Beim Hören hat man das Gefühl, dass irgendetwas fehlt. Genauso ausbaufähig ist „Schwarzfahrer“. Guter Text, aber die musikalische Umsetzung lässt das Lied leider irgendwann als nervig erscheinen.

Alles in allem ist „Utopia“ ein gut abgerundetes Werk, mit teilweise widersprüchlichen Aussagen, die hier aber nicht negativ auffallen, sondern eher den Gang des Lebens widerspiegeln. Zwischen selbstironischen Punker-Attitüden und Aufruf für politisches Engagement. Zwischen der Frage nach Veränderungen, Vergangenheit und Zukunft und dem fehlenden Elan etwas für sich selber zu ändern und zu bewegen. Bei dem Neuling von Radio Havanna merkt man ganz deutlich eine Weiterentwicklung, nicht nur mi Vergleich zu ihrem Erst-Werk „Aus der Traum“, sondern auch in Hinsicht auf den Vorgänger „Unsere Stadt brennt“. Besonders hervorzuheben sind hier die ausgereifteren Melodien und der erweiterte Instrumental-Kanon, der hoffen lässt, dass die Jungs auf der Tour eine zusätzliche Person auf der Bühne haben werden. Jemanden, der Akustikgitarre und Klavier spielen kann, um die vielseitigen Facetten des Albums auch Live und ohne eventuelle Samples wiedergeben zu können. Zwischen Liedern mit hohem Tempo und langsamen Balladen, findet man hier alles was man braucht.


„Wir atmen Zukunft, wir trinken Hoffnung auf den Brand. Tschüss alte Ordnung, herzlich willkommen Neuanfang - Jetzt sind wir da und hier ist nichts mehr wie es war, willkommen in Utopia. In einem Traum, der uns gehört haben wir zerstört, was uns zerstört“ - heißt es im letzten Refrain des Openers. Man könnte das gleichzeitig als Zusammenfassung des Albums, und als Ansage seitens der Band verstehen. Radio Havanna haben sich erfolgreich in das DIY-Business gekämpft, sich weiterentwickelt, unabhängig gemacht und sind trotzdem noch die Alten geblieben.

Tourdates

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Fazit

8
Wertung

Radio Havanna legen mit Utopia einen exzellenten Start in Eigenregie hin. Politik trifft auf Veränderungen und Zwischenmenschlichkeit, eine gut dosierte Menge Pop auf Punkrock.

Torsten Scholz
9
Wertung

Das ist der perfekte Punkrock, den ich mit der Auflösung meiner Punkhelden von Planlos für immer verloren geglaubt hatte. Kratzbürstig, unbequem, glaubhaft ehrlich. Radio Havanna haben hier eine facettenreiche Produktion kredenzt, die von Piano-Intros bis hin zu Stadionrock-Passagen musikalisch und textlich durchweg mitreißend sind.

Miriam Rhein