Kolumne

Was bedeutet Corona für den Musikjournalismus?

In Zeiten sozialer Distanzierung sucht gerade die gesamte Musikbranche nach Lösungen, um Kunst in völlig neuen Wegen zu denken. Das ist ein Problem gewaltigen Ausmaßes – doch diejenigen, die darüber berichten, könnten am Ende sogar noch schwerere Schläge davontragen.
Musikjournalismus

Eigentlich könnte man meinen, dass ein Magazin wie Album der Woche in den letzten Wochen ein Gewinner der Krise sein müsste. Die meisten Menschen halten sich an das Gebot sozialer Distanz und bleiben zuhause, viele von ihnen gehen nicht zur Arbeit und haben wenig zu tun. Immer mehr Ideen zum Zeitvertreib kursieren im Netz, Netflix muss die Bildqualität drosseln, um Bandbreite zu sparen, Menschen haben mehr Zeit denn je für das Internet. Und doch zeigen die Aufrufzahlen unseres Magazins ein anderes Bild: Seitdem die Corona-Krise Deutschland im Griff hat, sind die Zugriffe von Album der Woche um 30 Prozent gesunken. Am Ende verbringen die Leute zwar viel Zeit im Internet, haben aber dennoch gerade ganz andere Sorgen als Musik. Auch der Autor dieses Artikels surft zur Zeit noch mehr im Netz als üblich, ruft dabei aber lieber zum hundertsten Mal den Zeit-Online-Corona-Blog auf, anstatt sich über neue Platten zu informieren. Letztere Zeitung berichtet übrigens in einem Beitrag über massive Steigerungen auf ihrer Web-Präsenz. Das zeigt: Trotz aller Bekenntnisse zur Kultur und zur Rettung der kleinen Szenen haben die Menschen doch im Moment ganz andere Sorgen als Musik.

Für uns ist das ein wenig schade, aber schlussendlich kein Problem. Niemand bei Album der Woche verdient mit dem Projekt Geld, unser Magazin ist nicht monetär ausgelegt und die Fixkosten sind so gering, dass niemand im Ernstfall um seine Existenz fürchten müsste. Doch was ist mit den Magazinen, die wirklich für eine Vielzahl von Menschen die Lebensgrundlage bietet? Sollte unser Fallbeispiel auf die gesamte Branche übertragbar sein – und für diese Vermutung gibt es gute Gründe – dann könnte die Corona-Krise einen radikalen Kahlschlag für den Musikjournalismus bedeuten. Schließlich hat dieses Ressort nicht nur mit der aufgezeigten gesellschaftlichen Prioritätenverschiebung zu kämpfen, sondern unterliegt obendrein gerade einem massiven Wegfall der behandelten Themen. Dass die komplette Konzertlandschaft gerade stillsteht, ist dabei nur ein Aspekt. Schließlich ist das Spielen von Gigs für die gesamte Branche finanziell so wichtig geworden, dass manche Bands mittlerweile sogar schon den Release ihrer Alben verschieben, weil eine neue Platte ohne dazugehörige Tour und mit verschobenen Prioritäten der Fans einem Promotion-Desaster gleichkommt.

Echt hart trifft das vor allem diejenigen, die ohnehin schon am Straucheln sind: Die Printmedien kämpfen schon seit Jahren ums Überleben, vor nicht allzu langer Zeit verabschiedeten wir uns von Größen wie Intro, Spex oder der Print-Ausgabe des Juice-Magazins. Die, die noch übrig sind, haben mit der Corona-Krise ein noch gewaltigeres Problem. Die Kiosk-Kundschaft bleibt zuhause. Der Anzeigenmarkt liegt brach, weil das Geld in der Branche knapp ist und sich kaum einer traut, Reklame für Konzerte zu machen, von denen keiner weiß, ob sie überhaupt stattfinden. Und dass auch die Artikel selbst teilweise durch nun fehlendes Werbebudget angefeuert werden, ist ein offenes Geheimnis. Das VISIONS Magazin etwa hat bereits reagiert und bietet seine Ausgabe erstmals als PDF-Variante an, um auch die Daheimgebliebenen leichter zu erreichen. Aber ob das reichen wird? Wie lange die Corona-Krise dauern wird, kann zur Zeit keiner abschätzen. Ebenso wie viele andere Firmen sind auch Musikmagazine nicht vor der Pleite sicher – im schlimmsten Fall könnte am Ende sogar der Tod eines gesamten Berufszweiges stehen.

Wem etwas an solchen Magazinen liegt, dem sei geraten, vielleicht gerade jetzt mal wieder den Gang zum Zeitschriftenregal im Supermarkt zu wagen oder eine Möglichkeit zu nutzen, das Lieblingsmagazin online zu bestellen. Klar, Fanzines wie Album der Woche wird es auch nach Corona noch unverändert geben. Aber die Breite an qualitativem und umfangreichem Musikjournalismus wird sich wesentlich verkleinern, wenn die Professionellen Magazine aussterben. Und das wäre für alle ein herber Verlust: Für die Schreibenden, für die Kunstschaffenden, für die Lesenden.