Kolumne

Der Hang zur Konservierung — Eine Tonträgerhistorie

Versteht man Musik als eine mehr oder weniger systematische Anordnung von akustischen Signalen, ist dieses Phänomen keineswegs exklusiv für - geschweige denn eine Erfindung der - Spezies Mensch. Man spricht ja nicht umsonst von Singvögeln oder Walgesängen. Was menschengemachte Musik aber von der anderer Tiere unterscheidet, ist der Drang, das eigene Gedudel auch permanent irgendwo abspeichern zu können. Es folgt eine kurze Zeitgeschichte des Mediums Tonträger.

Walzen, Drähte und Lochkarten — die Kinderschuhe akustischer Aufzeichnung

Die ersten Medien zur Speicherung von akustischen Signalen kamen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Es handelte sich dabei um sogenannte Stiftwalzen. Das sind Zylinder aus Holz oder Metall, auf denen in entsprechenden Abständen kleine Stifte angebracht waren. Diese Walzen wurden in Spieldosen oder Musikautomaten verbaut und veranlassten durch ihre Drehung das jeweilige Abspielgerät dazu, in den durch die Stifte vorgegebenen Abständen die richtigen Töne zu spielen. Der nächste große technische Sprung folgte knapp 100 Jahre später, als Alexander Bell und später Thomas Alva Edison die sogenannte Phonographenwalze entwickelten. Die hat ihren Namen von ihrem Abspielgerät, dem Phonographen. Der Clou an dieser schmucken Maschine: Hier konnten erstmals tatsächlich Signale aufgenommen und abgespeichert werden, während die vorherigen Medien immer nur die jeweiligen Tonfolgen an anderer Stelle reproduzierten. Während die Stiftwalzen ja quasi nur das Instrument, das im jeweiligen Musikautomaten verbaut war, auf vorgefertigte Art und Weise bedienten, wurde mit dem Phonographen tatsächlich der Klang aufgenommen und konnte anschließend genauso wiedergegeben werden. Dadurch waren zum ersten Mal auch Sprachaufnahmen möglich. Wenn ihr also demnächst mal wieder eine achtminütige Sprachnachricht anhört, deren Inhalt sich auch in einen zweizeiligen Text hätte verpacken lassen, wisst ihr immerhin, wer mit diesem Quatsch angefangen hat. Die Phonographenwalze funktioniert, ähnlich der Vinyl-Schallplatte, mittels Rillen, die von einem scharfen Stift in die Wachsrolle geritzt wurden. Beim Abspielen wurde die Rille dann vom Phonographen ausgelesen und die entsprechenden Töne abgespielt. 

Die drei ??? und das analoge Zeitalter

Was man heute vielleicht noch aus alten Detektivhörspielen als cleveren Spionagetrick kennt, war bei seiner Erfindung eine technische Revolution: das Tonbandgerät. Bis heute halten sich Ausdrücke wie “Bandbreite” in unserem Sprachgebrauch. 1935 wurde das weltweit erste Tonbandgerät mit dem Namen Magnetophon K1 der Öffentlichkeit vorgestellt. Tonbänder können aus Stahl, Papier oder Kunststoff bestehen und sind einem magnetisierbaren Stoff, zum Beispiel Eisenpulver, beschichtet. Damit werden die Signale nicht wie auf einer Wachswalze oder einer Vinylschallplatte physisch abgespeichert, sondern stattdessen durch die unterschiedliche Magnetisierung des Bandes. Der große Vorteil des Tonbandes war zu seiner Zeit die Vielseitigkeit des Speichermediums. Erstmals war es möglich, mehrspurig aufzunehmen oder die gemachten Aufnahmen im Nachhinein zu schneiden. Außerdem hatte das Tonband eine für damalige Verhältnisse ziemlich große Speicherkapazität, denn so eine Tonbandrolle konnte schon mal knapp 1500 Meter Tonband enthalten. Eine Schallplatte dieser Größe wäre wohl recht unpraktisch gewesen. Der Erfindung des Tonbandes haben wir auch die Kassette zu verdanken, und damit auch die schier endlose Frustration, wenn diese Dinger mal wieder verknotet, gerissen oder sonst irgendwie kaputtgegangen sind.

Everybody’s Darling — Die Schallplatte

Von ihrem Siegeszug als neueste technische Innovation über ihren prophezeiten Untergang bis zu ihrer Auferstehung als Retro-Medium für Liebhaber*innen - die Schallplatte ist das wohl ausdauerndste Medium auf dieser Liste, und auch eines der wenigen, das heute noch eine gewisse Relevanz hat. Obwohl das Wort “Vinyl” heute quasi ein Synonym für die Schallplatte ist, bestanden die ersten Schallplatten noch aus Schellack. Die hatten meistens einen Durchmesser von 10 oder 12 inch, ähnlich also wie Vinylschallplatten. Allerdings belief sich die Spielzeit einer Schellackplatte je nach Durchmesser auf gerade mal drei bis vier Minuten pro Seite. Das lag daran, dass Schellackplatten meistens für alte Grammofone hergestellt wurden. Die hatten als Abtaster eine relativ dicke Stahlnadel, weshalb die Schallplatten meistens in Seitenschrift beschrieben wurden, die “Daten” also durch horizontale Bewegungen der Rillen gespeichert wurden. Mit dem Umstieg auf die Vinylschallplatte und der Erfindung der Mikrorille verlängerte sich die Spielzeit dann deutlich. Geboren war die Schallplatte, die wir bis heute kennen. In der langen Geschichte der Schallplatte gab es immer wieder kleinere und größere Innovationen des Mediums. Es gibt Schallplatten mittlerweile in allen erdenklichen Farben und Mustern, und seit der Erfindung der Picture Disc kann man sich sogar das Albumartwork bei 33RPM auf dem Plattenteller anschauen. Die Schallplatte hat zwar im Vergleich zu anderen Tonträgern eine eher kleine Speicherkapazität, glänzt dafür aber mit einer enormen Lebensdauer. Da die akustischen Signale auf der Platte mittels der Mikrorillen physisch gespeichert sind, ist die Aufnahme quasi unkaputtbar, sofern sie nicht zerkratzen oder brechen. Bei der CD oder dem Tonband einer Kassette können chemische Prozesse die Aufnahme zerstören, das ist bei einer Vinylplatte schwieriger. Selbst wenn die Platten durch Hitze verformt sind, kann man sie wieder glatt bügeln. Das funktioniert allerdings nur mit einem sogenannten Plattenbügler und nicht mit dem heimischen Dampfbügeleisen. Nachdem die CD in den 80ern die Vinyl immer weiter vom Markt verdrängt hatte, weisen die Verkaufszahlen von Schallplatten in Deutschland mittlerweile wieder eine Anstiegskurve auf, die sich vor den COVID-19-Zahlen nicht verstecken muss. 2019 wurden in Deutschland mit Vinylschallplatten knapp 79 Millionen Euro Umsatz gemacht.

Die Kassette — Ein Medium für Masochisten

Die niederländische Firma Philips entwickelte in den 60ern eine portable Version des Tonbandgerätes und schuf damit Frustrationspotential für mehrere Generationen. Nach jedem Abspielen muss man das Ding manuell zurückspulen, gefühlt jedes zweite Mal verheddert sich das Tonband irgendwo und man muss das Ganze mühsam wieder in Form bringen, bis man es dann endlich wieder abspielen konnte. Ab den 70ern löste die durch die Kassette eröffnete Möglichkeit, Musik aus dem Radio selbst aufzunehmen, einen riesigen Trend aus. Die Musikindustrie fand das eher weniger erfreulich und reagierte mit der Kampagne “Home Taping Is Killing Music”. Was die Produzierenden von damals wohl später von Plattformen wie Napster oder geschweige denn Spotify gehalten hätten? Mehr noch als die Vinyl ist die Kassette heute zum verstaubten LiebhaberInnen-Medium geworden und fristet ein Dasein in den Regalen von Retrofans und Vaporwave-EnthusiastInnen. Allerdings entdecken auch einige Bands das oft belächelte Medium wieder für sich und legen Singles oder B-Seiten als Kassetten in die Deluxe-Editionen ihrer Alben, so zum Beispiel geschehen mit dem Fan-Favorite “Piano Mortale” von den Donots. Ob das Plastikungetüm Kassette jemals eine Renaissance ähnlich der Schallplatte erleben wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Digipack oder Jewelcase? Das Kompromissmedium CD

Trotz allem Hype um Retromedien wie Schallplatte und Kassette bleibt der meistverkaufte Tonträger nach wie vor die Audio-CD. Und mehr gibt es der CD auch eigentlich nicht zugute zu halten, sie ist eben der kleinste gemeinsame Nenner unter den Tonträgern. Naja, eigentlich ist sie ja auch eher eine ganze Familie von Tonträgern, denn die Audio-CD hat über ihre nunmehr knapp 40-jährige Existenz unzählige, mal mehr, mal weniger erfolgreiche Ableger zum Vorschein gebracht. Da wären die CD-ROM, CD-i, VCD und zig andere, alle mit ihrem ganz eigenen Twist, aber alle waren nicht die technische Revolution, die sie versprachen. Aber hier soll es erstmal nur um die klassische Audio-CD gehen. Die CD gehört zu den optischen Speichermedien. Anders als bei der Schallplatte wird die CD nicht durch eine Nadel, sondern durch einen Laser abgelesen, und das auch nicht von außen nach innen, sondern andersherum. Auf eine standardisierte CD passt eine Datenmenge von 650 MB, das sind ungefähr 74 min Musik, also genug für die meisten Alben. Der aktuelle Stand der Technik erlaubt der CD auch eine ungleich einfachere Bedienung im Vergleich zu den Vorgängermedien. Pausieren, Vor- und Zurückspulen oder auch die Wiederholung einzelner Tracks oder der ganzen CD waren plötzlich denkbar einfach. Im Vergleich zur Vinyl sinkt der Absatz von CDs in Deutschland kontinuierlich und erreichte 2019 ein historisches Tief von 40 Millionen verkauften Einheiten. Das ist zwar immer noch mehr als bei den Schallplatten, verglichen mit den Absätzen in vorherigen Jahren zeigt sich jedoch ein deutlicher Negativtrend. Das könnte auch daran liegen, dass die CD nie den Liebhaberstatus der Platte erreichen konnte.

Streaming: “The Future Is Now, Old Man!”

Wir sind in der Gegenwart angekommen! Die Geschichte des Tonträgers endet mit seiner Abschaffung — how ironic… Mit dem Siegeszug des Internets und Anbietern wie Amazon Music und Spotify hat die Portabilität von Musik ein neues Level erreicht. Man muss sich nun nie mehr ein Album kaufen, solange man das passende Streaming-Abo besitzt. Man kann eine CD nie wieder verlieren oder zu Hause liegen lassen, solange man sein Smartphone dabei hat. Die Vorteile dieser Entwicklung sind eindeutig: Nahezu alle Musik ist überall und jederzeit verfügbar und die immensen Speicherkapazitäten zwingen die Konsument*innen nicht mehr dazu, sich Gedanken zu machen, was sie wann wie hören wollen. Es ist alles maximal zwei Klicks weit weg. Einerseits ist das natürlich für Verbraucher*innen ein riesiger Komfortgewinn, andererseits nimmt diese Allgegenwärtigkeit für viele auch das Besondere aus der Musik. In der App auf Play zu drücken ist oftmals dann doch etwas Anderes als eine Platte auf- oder eine CD -einzulegen. Und auch für die Musikschaffenden selbst ist Streaming ein zweischneidiges Schwert. Musik veröffentlichen war zwar noch nie so einfach wie heute, von ihr leben zu können wird hingegen durch die Hungerlöhne, die die Streamingdienste ausschütten, immer schwieriger.

War das schon alles?

Nach all diesen technischen Weiterentwicklungen endet die Reise durch die Geschichte der Audio-Speichermedien im digitalen Zeitalter. Natürlich waren die paar in diesem Artikel genannten Tonträger nur ein kleines Stück vom Kuchen. Die letzten knapp 120 Jahre brachten neben den oben genannten Medien allerhand kuriose Ideen hervor. Leider konnten sich Formate wie Betamax oder die Laserdisc aus verschiedenen Gründen nie so richtig durchsetzen und bleiben deshalb leider nur Anekdoten im technischen Entwicklungsprozess des Tonträgers. Aber wer weiß, vielleicht sehen wir ja in ein paar Jahren das große Comeback der Floppydisk.