Tatsächlich ist aber der Gedanke aus populärer Musik Jazz zu machen keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, sondern hat seinen Ursprung früher. Viele Jazzstandards waren nämlich nie als solche geschrieben. „Summertime“ ist eine Jazzversion einer Arie aus der Oper „Porgy and Bess“, „Autumn Leaves“ eigentlich für den Film „Les Portes de la nuit“ von 1946 vorgesehen und „All of Me“, ist ein Pop-Stück aus einer Theatershow. Natürlich sind es keine Eins-Zu-Eins-Cover, sondern viel mehr Interpretationen, die ein gemeinsames Gerüst, Melodie oder Akkordwechsel innehaben. „My Favorite Things“, eigentlich für ein Broadway Musical geschaffen, wurde durch eine Filmadaption weltbekannt. John Coltrane, Ikone des modalen Jazz, veröffentlicht 1961 ein ganzes Album mit Coverstücken, die er in modalen Jazz umwandelt. Darunter vertreten ist auch das Stück „My Favorite Things“, welches er praktisch zu seinem eigenen macht. Der Gedankengang Coltranes ist aber bestechend: er präsentiert einem Mainstream Publikum ein bekanntes Stück und führt es so gleichzeitig an den Zauber des modalen Jazz heran. Dieser begann nämlich zu diesem Zeitpunkt nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis das Licht der Welt zu erblicken.
All diese Stücke wurden im Laufe der Jahre zu Standards der Jazzcommunity und damit eine gute Möglichkeit für Musiker:innen eine gemeinsame Basis, bzw. ein Fundament zu schaffen, mit dem man auf Jamsession mit wildfremden Leuten die gleichen Stücke spielen konnte. Heutzutage gibt es kaum eine Jamsession ohne diese Standards, auch wenn die eigentlichen Originale mittlerweile kaum mehr bekannt sind. Den Jazzstandards sind nicht mehr als das: Stücke, die von der Community so viel gespielt werden, bis sie zum Kanon werden.