Der Sound der Verlierer – Sub Pop

In den späten 80er-Jahren war das Label Sub Pop aus Seattle maßgeblich daran beteiligt, dass Grunge-Musik für einige Jahre eines der erfolgreichsten Genres der Welt werden sollte. Im Jahr 2021 gibt es das Label immer noch – aber was macht man fast 30 Jahre nach Nirvana?
Sub Pop

Dass man mit Grunge heute keinen Teenager hinter dem Ofen hervorlockt, der nach Kompensation für seine Verzweiflung sucht, muss man eigentlich keinem mehr erzählen. Wie dermaßen tot Grunge 2021 ist, beweist aber am besten einen Blick auf die Wikipedia-Seite von Nickelback. Da ist als erstes Genre „Post-Grunge“ aufgelistet – und wenn das der aktuelle Stand dieser Subkultur ist, dann gute Nacht. Immer mal wieder erhebt sich aus der Mitte irgendeines Rockschuppens auf der Welt eine Band, die sich dazu berufen fühlt, den Sound wieder auszugraben. Gruppen wie die Blues Pills sind damit zum Beispiel auch außerordentlich erfolgreich. Aber solche Momente ziehen ihre Qualität eher aus der Nostalgie und der Retrospektive, als massenbestimmend zu sein. Das ist Grunge seit dem Tod von Kurt Cobain nicht mehr gewesen und auch der Suizid von Chris Cornell 2017 sorgte dafür, dass das Genre zunehmend zu einer Erinnerung wird.

Die Welt und die Popkultur verändern sich, das ist nur natürlich. Ebenso gegeben ist dabei aber auch immer, dass Menschen auf der Strecke bleiben. Bands wie Pearl Jam oder Mudhoney sind die letzten großen Überlebenden aus der Grunge-Ära. Ihr Status ist so fest zementiert, dass sie sich wohl für den Rest ihres künstlerischen Daseins keine Sorgen mehr machen müssen. Aber manchmal fragt man sich schon, ob solche Bands auch darüber nachdenken, was wohl passieren würde, wenn sie heute noch mal ganz von vorne anfangen würden. Was, wenn es den Nostalgie-Faktor nicht mehr gäbe? Was für Musik würde Eddie Vedder dann heute machen? Wäre er genau so erfolgreich? Oder hätte er überhaupt eine künstlerische Existenz?

Vielleicht noch viel ärger dran sind diejenigen, die nicht die Gesichter von Popikonen tragen, aber im Hintergrund trotzdem genau so wichtig für das Erstarken einer Musikrichtung waren. Das heute immer noch kultige Label Sub Pop hat Ende der 80er einige der wichtigsten Platten des Genres herausgebracht. Bis heute ist der erfolgreichste Release des Labels das Nirvana-Debütalbum „Bleach“, das sich weltweit über vier Millionen Mal verkaufte. Noch vor Nirvana erschien bei Sub Pop die allererste Soundgarden-Single „Hunted Down“, auch die ersten beiden EPs der für den „Seattle-Sound“ maßgeblichen Band waren Sub-Pop-Releases. Während Soundgarden und Nirvana schließlich zu anderen Plattenfirmen zogen, sind Mudhoney bis heute dort. Nach einem zwischenzeitlichen Intermezzo beim Frank-Sinatra-Label Reprise ist die Band mittlerweile wieder zurück in ihrer alten Heimat.

Aber was passiert mit einem Label, das in seinen Ursprüngen so wichtig für einen bestimmten Sound war, die dazugehörige Ära aber längst vorüber ist? Vielleicht hatten Sub Pop das Glück, dass sie im Gegensatz zu vielen vergleichbaren Firmen immer schon eine starke Markenidentität hatten, die die Versammlung bedeutender Bands unter einem Dach weit übersteigt. Sub-Pop-Shirts waren und sind in manchen Kreisen das, was anderswo Caps der New York Yankees und der Chicago Bulls oder Thrasher-Hoodies waren: ein Modetrend. Sub Pops Logo erwies sich gerade in den Anfangsjahren des Labels als so kleidsam, dass sich die Klamotten des Labels besser verkauften als die Platten. Am Ende ist es vielleicht auch dieser Markenkern, der Investoren aus der ganz großen Riege anlockte. Seit 1995 gehört Warner Music 49 Prozent des Unternehmens und von der gänzlich unabhängigen Independent-Schmiede der frühen 90er kann heute keine Rede mehr sein. Dennoch repräsentiert Sub Pop bis heute Musik, die stören will, unsauber ist und abseits glatter Produktionen funktioniert.

Der Geist Kurt Cobains, der auch immer ein Störer war, lebt in Sub Pop auf gewisse Weise weiter. Die Kanadier Metz bringen zum Beispiel konstant seit vielen Jahren ihre Platten bei der Seattler Plattenfirma heraus. Der Sound des Trios übersteuert immer wieder massiv, die Rhythmen sind ungeheuer monoton und krachen noch gnadenloser voran als bei den allermeisten Punkbands. Ihre etwas jüngeren Kollegen Moaning schlagen in eine ähnliche Kerbe: Der Gesang von Frontmann Sean Solomon klingt an manchen Stellen geradezu apathisch unsauber und die gesamte Instrumentation verschwimmt in einem Meer aus Delay. Sub-Pop-Bands wirbeln ihren Dreck heute seltener mit einer derartigen Direktheit auf, wie es die Ur-Grunge-Bands in den 90ern zu tun pflegten, aber die Haltung zum klanglich Unbequemen hat das Label bis heute nicht verlassen.

Die Bands vom heutigen Sub Pop treten vor allem klanglich in die Rebellion und nicht mehr über das Außermusikalische. Kurt Cobain ist in den 90ern auch deswegen zu einer derartig ikonischen Figur geworden, weil seine Ablehnungshaltung der gesamten Gesellschaft gegenüber die Art von Resistenzgedanken ansprach, nach dem viele gesucht hatten. Cobains Selbstmord ist da in der Rückschau quasi die ultimative Bestätigung eines Mythos‘. Solcherlei Leitfiguren finden sich bei Sub Pop heute nicht mehr – vielleicht auch, weil im Underground eine derartig groß skalierte Ikonisierung kaum noch passiert. Die Personen, die heute mit dem Cobain von damals vergleichbar wären, heißen Billie Eilish oder entstanden aus der Mitte der Soundcloud-Trap-Bewegung – XXXTentacion oder Lil Peep repräsentieren heute ähnliche Figuren, bei beiden zementiert durch ihren frühen Tod. Dass es sowas mittlerweile auf Sub Pop nicht mehr gibt, kann Unglück beim Nachwuchs sein, liegt aber wohl vor allem daran, dass Leitfiguren einer ganzen Generation auch eine entsprechende Reichweite erfolgen. Und die kann das Label heute schlicht nicht mehr erreichen. Widerständisch klingen Sub-Pop-Acts heute über ihren Sound, der gleichzeitig aber auch Widerstand gegen den Massenmarkt leistet und im 21. Jahrhundert nur noch eine bestimmte Nische bedienen kann.

Aber gegen was müssen die Sub-Pop-Acts eigentlich Widerstand leisten? Das Label aus Seattle hatte nie das Image, besonders politisch zu sein. Vielmehr fanden Menschen wie Cobain weltweite Beachtung, weil sie gesellschaftliche Außenseiter waren, Personen, die nicht so recht in die Reihe passen wollten. Es ist vor allem dieses gelebte Außenseitertum, das Sub Pop bis heute verkörpert und definiert – ironisch eigentlich, wenn man eines der erfolgreichsten Indie-Labels der Welt ist und fast zur Hälfte einem Major gehört. Und dennoch könnten sich die Menschen hinter „Sub Pop“ das Wort „Loser“ fast schon patentieren lassen. Special Editions ihrer Platten erscheinen oft unter dem Konnex „Loser Edition“, eines der erfolgreichsten Label-Fanshirts trägt die Aufschrift „Loser“ und selbst die berühmt gewordenen Briefe, die Sub Pop Anwärtern im Falle einer Absage schickt, beginnen mit „Dear Loser“. Bands, die bei Sub Pop veröffentlichen, leben ihre Identität als Verlierer – und das gilt bis heute.

Deswegen erscheinen bei Sub Pop auch Platten, die man so gar nicht mit dem „Seattle Sound“ in Verbindung bringen würde, die aber trotzdem frappierend gut ins Restprogramm passen. Mehrere Veröffentlichungen des neuseeländischen Comedy-Folk-Duos Flight Of The Conchords erschienen bei Sub Pop. Erst vor zwei Jahren brachte die Band ihre Live-Platte „Live In London“ dort heraus. Jemaine Clement und Bret McKenzie machen ganz andere Musik als diejenigen, die den gängigen Sub-Pop-Sound definieren. Ihre Musik ist clean und melodisch, in der Instrumentierung oft reduziert, sie ist vor allem witzig und voller Ironie im Gegensatz zu all den Düsternissen der Grunge-Ära. Aber Clement und McKenzie sind geborene Loser. In ihrer nach der Band benannten HBO-Serie stellen sie stets zwei Gestalten dar, die sich in den von purer Männlichkeit geprägten Rockstar-Kosmos einfügen wollen, aber dabei stetig scheitern. Kurzum: Sie sind die geborenen Loser – ganz egal, wie sie klingen. Sub Pop deswegen nur als die Betreiber des „Seattle Sounds“ zu verstehen, greift eigentlich zu kurz. Das Label ist die Inkarnation all derjenigen, die sich von der Gesellschaft an den Rand getrieben fühlen, die in Musik ein Auffangbecken suchen und nach Identifikationsfiguren Ausschau halten, die sich genau so komisch fühlen wie sie. Wie authentisch das ist, kann man hinterfragen. Wie viel Sub Pop den Außenseitern in 40 Jahren gegeben hat, steht aber nicht zur Diskussion.