Konzertbericht: La Dispute in Hamburg

Eine außergewöhnliche Band in einer außergewöhnlichen Location. Ein wunderbarer Ort für Gute-Nacht-Geschichten mit Jordan Dreyer und musikalischer Untermalung.

Wer La Dispute aus Grand Rapids in Michigan kennt, der weiß um die Qualität ihrer Songtexte. Sänger und Lyriker Jordan schafft es in beinahe ausnahmslos jedem Song, eine herzzerreißende und umfassend ergreifende Geschichte zu erzählen. Oft genug nimmt er in verschiedenen Songs unterschiedliche Perspektiven auf ein und dieselbe Story ein. La Disputes Texte sind solche, die man lesen muss, um alle Verknüpfungen, Zusammenhänge und Perspektivwechsel mitzuschneiden.
Dass die Songs dementsprechend häufig im progressiven Stil, ohne wiederkehrende Parts, ablaufen, verwundert nicht. Oft genug scheint die Musik nur ein zusätzliches dynamisches Element zu sein, um die Spannung zu steigern, die Verzweiflung und Angst zu intensivieren oder abzuschwächen.
Wie funktioniert ein solch filigranes Kunstwerk live auf der Bühne?
Die Antwort ist simpel: Verdammt gut. Denn es ist ein Kunstwerk, das mindestens die Hälfte des Hamburger Publikums in- und auswendig kennt.

La Dispute spielen im „Sommer in Altona“. Ein merkwürdiger Name für einen Club. Das liegt daran, dass das „Sommer in Altona“ ein nur in den Sommermonaten aufgebautes Zirkuszelt auf einer Wiese irgendwo zwischen den Grenzen des Stadtteils Altona und des Beginns der Reeperbahn ist. Dafür gehört ein Biergarten mit Liegestühlen und ein Pommes-Stand zur Location. Es gibt alles, was das Herz begehrt.
Die nächste Merkwürdigkeit ist, dass die Vorband Svalbard aus England heute nach dem Haupt-Act und in einer anderen Location, nämlich der Roten Flora spielt. Es ist schließlich ein Wochentag und die Ruhezeiten werden strikt eingehalten.

Das bedeutet aber auch, dass La Dispute unter frenetischem Jubel bereits kurz nach acht die Bühne entern. Mit „Harder Harmonies“ wählt man einen etwas schwierigeren Einstieg in das Set. Das Publikum zumindest zeigt sich verhalten, während Frontmann Jordan von Sekunde eins an Vollgas gibt. Beim zweiten Song „First Reactions After Falling Through The Ice“ tut es ihm die Zuhörerschaft gleich. Es gibt Menschen in der Crowd, die über eine Stunde hinweg jedes Wort Dreyers endlos langer Geschichten, die oftmals in rapidem Tempo vorgetragen werden, mitsprechen können. Beeindruckend!

Nicht minder imposant ist die ambivalente Bühnenpräsenz einerseits der Band und andererseits Jordan Dreyers selbst. Er ist der einzige der Fünf-Mann-Kombo, der sich überhaupt großartig auf der Bühne bewegt. Dafür tobt er dort umso ekstatischer und füllt wirklich jeden Zentimeter aus. Während insbesondere Bassist Adam Voss seitlich zum Publikum wie festgewurzelt vor seiner Bassbox verweilt, springt Dreyer wie ein Flummi von links nach rechts, von der Basedrum an den Bühnenrand, von den Knien in die Luft und schreit sich dabei die Seele aus dem Leib. Seine Performance als Vokalist leidet unter der ständigen Bewegung leider sehr, doch sein Gebärden ist umso mitreißender, weil jedes Wort, jeder Schrei, jede Betonung in der Musik gestisch mitgelebt wird. Oft genug darf auch das Publikum lautstark Zeile um Zeile an seiner statt vorbringen und an den richtigen Stellen hält er kniend am Bühnenrand das Mikrofon der ersten Reihe vor die bebenden Lippen. Zwischen den Songs hingegen zeigt sich ein ganz anderer Mensch. Dreyer kniet meist neben dem Schlagzeug, schaut scheu zu Boden und ringt nach Worten. So bringt er einmal nur ein „This is fun“ hervor, welches er direkt im Anschluss verlegen mit „Wow.. All day I try to think of cool things to say between songs and all I come up with is: this is fun“ kommentiert. Viel sagen tut er also nicht zwischen den Songs, in welchen er umso mehr Worte aneinander kettet, ineinander verschachtelt und im Kreis herumdreht. In der Mitte des Sets kündigt er jedoch noch an, dass die Band im kommenden Jahr wieder in Deutschland touren und auch ein neues Album mitbringen wird.

Durch die 1000 scharrenden Füße zeigt sich noch eine weitere Besonderheit des Abends. Der trockene Holz-Mulch am Boden wirbelt einiges an Staub in die Luft. Dreyer kommentiert das neckisch mit der Erinnerung an ihren Herkunftsort in den Midwestern States, wo sie häufig in Scheunen gespielt haben. Der Staub wird sich auch erst eine ganze Weile nach Ende der Show wieder legen. Denn bis auf einige Leckerbissen präsentierten La Dispute eine Setlist voller Kracher, von der Split EP mit Touché Amoré bis zu „Rooms Of The House“ und nehmen wirklich jeden mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt. In circa 80 Minuten Spielzeit presst man so viele Gefühle, wie manch Mitmensch in einem Jahr nicht durchlebt. Insbesondere „Said The King To The River“, „The Castle Builder“ und das Finale „King Park“ entlocken dem Publikum alles und oft genug übertönen die mitschreienden Fans die Gitarren.
Wie aufregend La Disputes Songs sind, spiegelt sich auch in den wechselnden Längen der Titel wider. Die beiden Zugaben „Such Small Hands“ und „King Park“ haben eine Länge von eineinhalb und über sieben Minuten. So wird das Konzert schon gegen halb zehn beendet und die Bandmitglieder finden sich quasi direkt im Anschluss der Show im Publikum wieder, genau wie man es von La Dispute kennt. Insbesondere Sänger Jordan werden viele nette Worte und begeistertes Händeschütteln zuteil.
Lange waren sie nicht in Deutschland und lange werden sie nicht weg sein. La Dispute sind live ein unvergleichlich sensibles wie brachiales Erlebnis, das in den Köpfen der Gäste noch länger nachhallen wird.