Canines derartig verschobener Slot ist aber vor allem auch deswegen so undankbar, weil sie sich so nach dem unfassbaren Auftritt von Kora Winter behaupten müssen. Dieser erzeugt den unzweifelhaften Gipfel einer ohnehin enorm hoch angesetzten Gauß’schen Stimmungsglocke. Schon zum Start des Auftritts steht eine eingeschworene Traube sehnsüchtig um die 20 Zentimeter hohe Bühne, die nur darauf wartet, jeden Akkord und jede Textzeile in sich aufzusaugen. Schon beim Opener „Narben“ zeigt sich diese Leidenschaft aller Beteiligten in voller Größe. Wie die textsicheren Fans vor der Bühne alle Hemmung aufgeben, um die unheimlich nahbaren Zeilen von Kora-Winter-Frontmann Hakan Halaç in voller Inbrunst mitzuschreien, ist schon fast auf dem Level eines Touché-Amoré-Gigs. Sichtlich beeindruckt von dem sich ihm bietenden Spektakel reißt auch Halaç fast ungläubig die Augen auf und ruft begeistert: „Wow, das hat Potential!“. Die anschließende Komplettierung des „Welk“-Doppels durch „Stiche“ verfehlt seine Wirkung nicht und spätestens jetzt ist jedem klar, dass hier gerade etwas Besonderes passiert. Auch die neuen Songs von „Bitter“ sind bereits fest im Textgedächtnis der Anwesenden verankert. Besonders einnehmend äußert sich dieser Umstand, als Kora Winter den Titelsong ihrer aktuellen Platte anstimmen und sich das Publikum das namensgebende Ritornell gemeinsam mit ebensolcher Verzweiflung von der Seele ächzt, wie Halaç es tut. In der Astrastube ist eine aggressive Kollektivtherapie entbrannt. Als Kora Winter das Signal bekommen, entgegen ihrer Erwartung doch noch Zeit für den „Bitter“-Closer „Hagel“ zu haben, ist die ungezügelte Freude bei Band und Publikum so echt wie nur möglich und kaum in Worte zu fassen. Menschen, die sich heute teilweise zum ersten Mal getroffen haben, liegen sich in den Armen und fühlen jede der verzweifelten Zeilen mit, die von der Bühne schallt. Ein Abend, der den unglaublichen musikalischen Hilfeschrei von „Bitter“ in jeder Hinsicht maximiert und das unbändige Leid zu einer brutalen, aber schlussendlich seligen Katharsis umfunktioniert. Kora Winter sind die Speerspitze einer neuen Hardcore-Generation. Das haben heute alle gespürt.