Konzertbericht: Callejon in Stuttgart

In Anbetracht der jüngeren, stilistischen Entwicklung Callejons durfte man gespannt sein, ob und wie sie das weitestgehend Metalcore-affine Publikum auch live erreichen können. „Fandigo“ ist ein polarisierendes Werk und gleichzeitig Namensgeber der aktuellen Tour. Während es die einen als Kontrast zu dem bisherigen Schaffen sehen, verkörpert es für andere eine konsequente Weiterentwicklung. Es ergab sich ein Abend korrelierender Gegensätze.

Das Jugendhaus Hallschlag im Stuttgarter Norden wirkt von außen wie ein typischer Vertreter seiner Art: Tischkicker, Tourplakate diverser Geheimtipps und faire Preise für Essen und Trinken. Diese Assoziationen bestätigen sich beim Eintreten, doch es stellt sich die Frage: Ist das Ganze nicht mittlerweile etwas zu klein für eine gefestigte Top-10-Formation? Mitnichten. Das Fassungsvermögen der Location überrascht ebenso wie der Aufbau an sich. Ich ziehe unwillkürlich Parallelen zu einem Sakralbau der 1960er Jahre. Wände aus Backsteinen und eine hölzerne Deckenverkleidung prägen das Bild. Doch anstelle von Orgelspiel und Psalmen eröffnen pünktlich um 20 Uhr Improvement das Konzert. Aufgrund von Verzögerungen am Einlass kann ich den Auftritt an dieser Stelle nicht bewerten, da ich ihn lediglich an der Eingangstür miterlebt habe; laut genug war es in jedem Fall!

 Nach erfolgreichem Einlass und kurzer Umbauphase folgen Annisokay und erfüllen ihre Aufgabe als Vorband durchaus solide. Zwischen Grüßen an ihre Vorgänger und einer Ankündigung für den abendlichen Headliner werden die maßgeblichen Hits der Band präsentiert. Trotz gutem Sound dauert es ein wenig, bis das sich das Publikum in Bewegung setzte. Spätestens der Einladung zu einer Wall of Death („Sky“) kam das vordere Drittel allerdings nach. „Carry Me Away“ bildet den Abschluss der Handvoll Songs. Eine abwechslungsreiche halbe Stunde.

Zur Überbrückung erklingt eine Jazz-angehauchte Version von „I was made for loving you“. Als wolle man die Konzertbesucher auf die neuartige, kontrastreiche Setlist vorbereiten, folgt noch die unverkennbare Stimme Lemmy Kilmisters, ehe der Saal abgedunkelt wird und das Intro startet.

Callejon Stuttgart

„Fandigo Umami“ als Opener – ein Experiment mit mäßigem Erfolg. Auch als einer der eingängigeren Neulinge auf der Liste springt der Funke nicht unmittelbar über. Einige Die-Hard-Fans sind zweifelsohne von der ersten Minute begeistert, der Rest wartet geduldig auf die etablierten Klassiker. Mit „Hölle Stufe IV“, einem meiner Ansicht nach hervorragenden Song, geht es weiter. Das führt allerdings dazu, dass die ersten Minuten ungewohnt gesittet und ruhig über die Bühne gehen. Erlösung folgt mit Titeln wie „Schwule Mädchen“ oder „Wir sind Angst“. Garanten für ausgelassene Stimmung und, wie unschwer zu erkennen, Publikumslieblinge. Besser als vermutet gliedern sich „Noch einmal“ und „Monroe“ ein. Unter Studiobedingungen fallen die Unterschiede zu den Klassikern sicherlich stärker auf als im Gemenge eines Live-Auftritts. Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob es ein Qualitätsnachweis ist, wenn die am besten funktionierenden Songs nicht die eigenen sind, aber: „Schrei nach Liebe“ ist jedes Mal aufs Neue bärenstark und reißt jeden Gast mit.

Gegen Ende erlöst man die sehnsüchtige Fanseele mit Gassenhauern, die bei keinem Auftritt fehlen dürfen. „Kind im Nebel“ und darauffolgend der zweite Teil von „Porn From Spain“ räumen ab und hinterlassen ein zufriedenes und von zahlreichen Circle-Pits erschöpftes Publikum. Etwas zu kurz kam das frühe Schaffen Callejons; für meinen Geschmack hätten es auch durchaus ein paar mehr Stücke des Vorgängeralbums in die Setlist schaffen können (ich erinnere an die phänomenale Darbietung von „Krankheit Mensch“; vielleicht nächstes Mal). Das klassische Dilemma einer Band mit mehr als zwei Alben im Backkatalog werden auch Callejon nicht lösen können, sodass es sich um Kritik auf hohem Niveau handelt.

Callejon Stuttgart

Das Team der Lichttechnik macht im Verlauf des Konzerts eine sehr gute Arbeit und nutzt die örtlichen Gegebenheiten. So werden zum Beispiel Schattenspiele auf die Steinwände projiziert, was die Musik visuell bestens unterstützt. Callejon selbst liefern in guter, allerdings nicht in Bestform. Für mich bildet die „Wir sind Angst“-Tour aus dem Jahr 2015 den Maßstab, an dem man sich messen lassen muss. Dieser wird nicht in Gänze erreicht. Gelohnt hat sich der Besuch in jedem Fall.