Architects sind vermutlich eine der, wenn nicht sogar die größte Post-Metalcore Band der Generation X. Das Quintett aus Brighton in England hat sich in den 14 Jahren ihrer Bandgeschichte einen Namen und eine riesige Anhängerschaft erspielt. So kommt es, dass mit dem aktuellen Album „Holy Hell“ die größten Konzerte der Bandgeschichte anstanden und -stehen. Die Mitsubishi Electric Hall in Düsseldorf war der Ort des Auftaktes zu insgesamt sechs Konzerten in Deutschland. Mit einem Fassungsvermögen von 7500 Personen und einer „Fast ausverkauft“-Meldung kann man nichts anderes als dankbar und zufrieden sein.
Selbiges gilt auch für die beiden Support-Acts Polaris aus Sydney und Beartooth aus Ohio.
Anknüpfend an den recht frühen Einlass ab halb sechs, betreten Polaris pünktlich die Bühne und eröffnen das Musikspektakel des Abends auf beeindruckende Weise. In einer halben Stunde Spielzeit, als vergleichsweise unbekannte Band, diese Halle doch schon zum Köcheln zu bringen, ist eine respektable Leistung. Die Menschen hatten aber auch einfach Bock auf Musik mit Knüppeln. Und das liefern Polaris allemal. Garstige Riffs und melodiöse Hooks, durchsetzt von fein komponierten Breaks, kombiniert mit einer aufmerksamkeitsgenerierenden Bühnenpräsenz bringen die ersten Circle Pits, Crowdsurfer und Singalongs hervor.
Nach einer kurzen Umbaupause und einem Bannerwechsel erstrahlt die Bühne in einem sonnigen Orange. Beartooths 45 Minuten-Set beginnt mit Songs vom neuen Album „Disease“. Im Publikum befinden sich etliche Fans der Amerikaner und sowas wie der „orangene Block“ macht sich vor allem im Pit bemerkbar.
Doch der Genuss wird durch einen insgesamt dünneren Sound als Polaris ihn kurz zuvor auffuhren dezent geschmälert und durch seltsam abgemischte Gitarren, die eigentlich nur dann hörbar sind, wenn Bass und Schlagzeug schweigen. Der ungestüme Bär wirkt gegenüber den roten Kängurus etwas zaghaft und blass. Nichtsdestotrotz gibt insbesondere Frontmann Shomo sichtbar alles. Sein Lieblingsspruch an diesem Abend lautet offensichtlich „If you know this riff/song fuck with it“ - gesagt, getan. Das Publikum hat sichtbar Spaß mit alten Klassikern wie „In Between“, „Hated“ oder „The Lines“ wie auch mit neueren Songs von „Disease“. Da dürfen Bretter wie „Bad Listener“ und „You Never Know“ natürlich nicht fehlen! Den grandiosen Album-Opener „Greatness Or Death“ haben Beartooth leider nicht auf der Setlist.
Eine weitere Umbaupause, 30 Minuten, fast schon ein Countdown. Plötzlich wirkt die Bühne drei Mal so groß wie vorher. Ein gigantisches Podest für Schlagzeug und Keybords, auf welchem Bassist Dean und Drummer Searle gleich thronen sollen, nimmt den hinteren Teil ein.
Pünktlich um neun ertönen die ersten sphärischen Töne aus den Lautsprechern und das Licht wird gedimmt. Lautstarker Applaus und Architects-Chöre empfangen die fünf Herren, als sie aus dem Backstage joggen. Da wird auch nicht lang gefackelt und direkt mit „Death Is Not Defeat“ losgelegt, mit „Modern Misery“ weitergemacht und bevor man auch nur wirklich Luft holen kann, prügelt schon „Nihilist“ in seiner ganzen Wucht auf einen ein. Und das Publikum ist dankbar für so viel Power von Sekunde 1 an. Das vordere Drittel der Halle ist schweißtreibend in Bewegung, bis hinten hin sieht man gereckte Hände, Fäuste, Pommesgabeln, Bierbecher und springende Zuschauer.
Zur Hitze durch Bewegung kommen während „Nihilist“ auch die ersten Pyro-Elemente. Feuer- und Rauchfontänen und eine berauschende Lichtshow verzieren das restliche Set durchweg. Als inzwischen die meisten Tanzwütigen nass sind, nimmt Frontmann Sam Carter sich kurz die Zeit, um „Hallo“ zu sagen. Es folgt eine Setlist von knapp 90 Minuten, an welcher sich Bands wie Stick To Your Guns, die seit ein paar Jahren mit knapp 60 Minuten Spielzeit regelmäßig durch Europa touren, gerne ein Beispiel nehmen können. Ein fein gestrickter Mix aus Songs vom „Holy Hell“-Vorgänger „All Our Gods Have Abandoned Us“, „Holy Hell“ selbst und Must-Plays wie „These Colours Don't Run“ oder „Naysayer“ ballern jedem Besucher die 90 Minuten im Schnelldurchlauf um die Ohren. Da bleibt keine Zeit für Müdigkeit. Das reguläre Set endet mit dem Album-Closer „A Wasted Hymn“ und dem 100. überwältigten Dankeschön der Band.
Eine Band, deren Mitglieder so bescheiden sind wie Architects, lässt sich auch nicht lange um eine Zugabe bitten. Laut ertönten die Rufe nach noch einem Song und prompt besteigen Carter, Searle, Middleton, Christianson und Dean die Bühne für das Encore. „Gone With The Wind“ ist die erste Zugabe. Wer die Band seit etwas mehr als zwei Jahren verfolgt, weiß um den emotionalen Gehalt dieses Songs in Verbindung mit dem Tod von Gitarrist, Songwriter, Zwillingsbruder und Gründungsmitglied Tom Searle. Sieht man Carter in der „Holy Hell“-Doku bei eben diesem Song vor 10.000 Leuten Rotz und Wasser heulen, unfähig zu singen, überkommt einen Gänsehaut. Hier reicht die Erinnerung an diese Bilder.
Doch an den Song anschließend brechen Architects plötzlich aus dieser eher unnahbar-professionellen Hallenperformance, wie man sie von Bands dieses Kalibers kennt, aus. Carter spaziert über die Bühne und erzählt; erzählt von Tom, über das Album, aus dem Leben der Band, bedankt sich bei allen vieren, macht Witze und entschuldigt sich sogar scherzhaft bei Dean dafür, dass er „sometimes fucking annoying“ sei, während Searle und Dean auf oben erwähntem Podest mit Rotwein in Stilgläsern (auf Tom?) anstoßen. Und das Publikum lauscht gebannt, ist wie gefesselt von Carters Worten, trauert, klatscht und lacht mit ihm, bevor er den letzten Song für den heutigen Abend ankündigt. Es gibt nur noch einen Song, der fehlt und „Doomsday“ wird das heftigste, schönste und ausgelassenste Finale, das man diesem Abend hätte wünschen können. Konfettiregen und Weltuntergang - was für eine Party.
Und nachdem während des Konzerts im Hintergrund abgefahrenste Animationen abliefen, prangt mit dem Verklingen des letzten Akkords das große Herz mit „T//S“ auf der Bühne. Dan Searle bleibt noch einen Moment länger auf der Bühne und bedankt sich gestisch bei allen Fans für den immerwährenden Support. You never walk alone.