Album der Woche präsentiert: So war es beim 440Hz-Festival

Das 440Hz-Festival bot bei seiner Premiere im Hamburger Gängeviertel eine beispiellose Vielfalt an musikalischer Stil-Vielfalt und künstlerischen Gegensätzen. Unsere Autoren Felix und Jakob berichten euch in einem zweigeteilten Bericht von dem Wochenende.

Wer die Fabrique im Hamburger Gängeviertel kennt, der weiß: Konzerte fangen hier nur selten pünktlich an. Dafür aber – und das ist ungleich wichtiger – bietet sie einen Ort für beispiellose künstlerische Freiheit und multi-kulturelle Vielfalt. Diesen Ambitionen hat sich auch das dort erstmals stattfindende 440hz-Festival verschrieben und präsentiert an insgesamt drei Veranstaltungstagen ein breites Programm an Konzerten, Kunst und Workshops. 

Gleich der erste Tag beginnt multinational: Mia Fernlund begleitet sich selbst auf der Gitarre und singt auf Spanisch, Englisch und Schwedisch. Ihr intimes Akustik-Set aus Cover-Songs und selbstgeschriebenen Liedern stimmt die Besucher auf einen vielfältigen Konzertabend ein, der noch bis spät in die Nacht andauern wird. Auf sie folgt Hava Bekteshi an der „Çifteli“ genannten Langhalslaute aus der albanischen Volksmusik. Spätestens beim letzten Song tanzt zu dem Mix aus Folkloristik und modernen Beats nicht mehr nur der mitgebrachte Anhang, sondern ein jeder im  Saal. Die gute Stimmung nutzt die deutsch-vietnamesische Gruppe Chill Mal für ein kurzes Set entspannten Akustik-Pops und gibt anschließend weiter an Tini, die wiederum Solo und mit Gitarre im Anschlag die Bühne betritt.

Sandmalerei

Eine Sandmalerin unterstreicht die künstlerische Vielfalt des Events.

Ein erstes Highlight setzt das ukrainisch-russische Duo Bad mit seiner eigenwillig rockigen „Küchenmusik“, gefolgt von den Lokalmatadoren Barani aus Süd-Hamburg. Die drei jungen Indierocker in braun-weißen Outfits haben das Publikum schnell auf ihrer Seite und die Zugabe-Rufe sicher. Das kombinierte Publikums- und Juryvoting sollte an diesem Abend jedoch zugunsten der vier Bandmitglieder von Stary Ikarus ausfallen, die durch eine vielseitige Mischung aus Blues, Funk und Rock mit russischen Texten überzeugen. Inzwischen ist es schon weit nach Mitternacht, der Headliner-Act noch jedoch noch aus: Urban Bears nennt sich die ebenfalls aus der Hansestadt stammende Band um Frontfrau Pia, die kleinere technische Schwierigkeiten ebenso gekonnt überspielt wie Saitenrisse und die Müdigkeit zur späten Stunde, vor allem aber durch kraftvollen Indie- und Alternativerock für einen gelungen Abschluss des ersten Festivaltags sorgt.
 

Am Samstag zeichnet sich ein ähnliches Spiel wie zur Eröffnung ab: Xynior fangen erst über eine Stunden nach der geplanten Uhrzeit an, was dann aber doch wieder den sympathischen DIY-Charakter der Veranstaltung hervorhebt. Die Band eröffnet den Tag dann auch gleich mit kompromisslosem Hau-Drauf-Metal, der nicht unbedingt durch Komplexität besticht, aber immerhin alle wachrüttelt, die gerade noch im Rausch des gemeinsamen Grillens zum „Pay what you want“-Bier versunken waren. Dass direkt danach Wazzup mit einem eigenständigen Crossover aus Hip-Hop und Reggae folgen, unterstreicht die musikalische Vielfalt des Events bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des zweiten Tages überdeutlich. Schnörkelloseren Rap spielt danach F1n3st, der als Hip-Hop-affinster Act des Samstags nochmal deutlich aus dem Roster fällt und dafür zu Unrecht nur vor einem eingeschworenen Kreis spielt. Dabei sind die knackigen Beats des Schweriners on Point und sein Flow umschlingt die Instrumentals makellos – gelegentliche Autotune-Einlagen sorgen zudem für stilistische Bandbreite zwischen modernen Trap-Einflüssen und bodenständigem Old-School-Hip-Hop. Immerhin wissen die Anwesenden den Auftritt entsprechend zu konnotieren und nehmen Sticker und Postkarten mit, die F1n3st großzügig verteilt.

F1n3st

F1n3st

Richtig gepackt wird eine plötzlich volle Fabrique dann aber von Loco Jet – und das, obwohl die Ein-Mann-Band eigentlich viel zu zärtlich abgemischt ist. Wieder wett macht er diese schwierige Voraussetzung mit irren Loop-Station-Moves, die Schritt für Schritt eine komplette Latin-Band simulieren. Der Künstler wird dafür mit den wohl euphorischsten Reaktionen des Tages belohnt, die sogar zu einer Massen-Polonäse durch den ganzen Raum führen. Die anschließende Sandmalerei-Show besänftigt die Stimmung dann wieder etwas und hebt gleichzeitig den multi-künstlerischen Anspruch des Wochenendes hervor. Überhaupt ist die Location im ohnehin schon wie eine Märchenwelt gestalteten Gängeviertel nochmal extra hübsch gestaltet: Fotoausstellungen und andere kleine Installationen sorgen für ein fantastisches Flair, in dessen Mitte auch unser neues Album-der-Woche-Banner seinen ersten Auftritt feiern darf.

Loco Jet

Loco Jet

Nach dem außermusikalischen Break geht es mit TMA weiter, die sich der russischen Folklore widmen und damit einen krassen Kontrast zu Falling Moose bilden, die neben ihren schnörkellosen Indie-Songs auch eine eingeschworene Fangemeinde mitgebracht haben, die den Sänger der Band wortwörtlich auf Händen trägt. Das Publikum ist mehr als überzeugt von dem Auftritt – so sehr sogar, dass das Trio das im Hintergrund laufende Voting von Zuschauern und Jury gewinnt. Ebenso verdient hätten das aber auch Fault Won’t Fade, die für den Auftritt extra aus Spanien angereist sind und wirklich den brachialstmöglichen Metalcore inszenieren, ohne dabei dem Stumpfsinn zu verfallen. Nach einem Parkway-Drive-Cover inszeniert die Band zum Finale sogar eine Wall Of Death, die erstaunlich gut angenommen wird, obwohl weite Teile des Publikums nicht gerade wie Metal-Heads aussehen.

Falling Moose

Falling Moose

Nach Fault Won’t Fade ist die Puste fast verbraucht, die Uhr hat die Geisterstunde mittlerweile weit überschritten. Wer aber bis hierhin durchgehalten hat, der wird mit dem besten Auftritt des Tages belohnt: Smoothica machen ihrem Namen alle Ehre und zaubern eine gleichsam tanzbare wie schwelgerische Pop-Jazz-Fusion, von der Tom Misch begeistert wäre. Die Soli aller Akteure sind derartig pointiert und gleichzeitig ausufernd, dass sich selbst um diese Uhrzeit noch einige Menschen zum Tanzen hinreißen lassen. Der Abend endet so mit einem positiven Soja-Sahnehäubchen. An diesem Wochenende konnte man wirklich alles an Musik bestaunen.

Smoothica

Smoothica