Kolumne

Nachruf: Erinnerungen an Chester Bennington

Der Tod von Linkin-Park-Frontmann Chester Bennington kam so plötzlich wie erschütternd. Zwei Nachrufe der AdW-Redakteure Ole und Jakob, die versuchen, der Ehrfurcht, Trauer und Bewunderung dieses Künstlers Worte zu verleihen.
Chester Bennington Linkin Park

Jakob Uhlig: 

Während ich diese Zeilen verfasse, beherrscht mich nach wie vor die Fassungslosigkeit. Als Chris Cornell vor einigen Wochen starb, hat mich das sehr erschüttert. Gleichzeitig machte ich mir Gedanken, was der Tod eines für mich noch bedeutsameren Künstlers in mir auslösen würde. Nun habe ich traurige Gewissheit. Chester Bennington war der einzige wirkliche Held, den ich jemals hatte. Dass er meinem Leben so plötzlich entrissen wurde, erfüllt mich mit tiefster Bestürzung, obwohl ich seine Musik seit Jahren nicht mehr wirklich aktiv gehört hatte.

Um auch nur ansatzweise erklären zu können, welche Rolle Chester Bennington für mich gespielt hat, müsste ich im Prinzip mein ganzes Leben rezitieren. Alles, wofür ich heute lebe und kämpfe, hat in seinem Kern irgendwo mit diesem Mann zu tun. Zu meinem zwölften Geburtstag machte mir ein Vater ein großartiges Geschenk, dessen weitreichende Folgen zu diesem Zeitpunkt noch keiner erahnen konnte: Linkin Parks Album „Hybrid Theory“. Diese Platte sollte in den kommenden Monaten zu meinem allergrößten Album überhaupt avancieren. Noch nie hatte ich diese Art von Musik gehört, der Sound dieser Band begeisterte mein junges Ich hemmungslos. Es war wohl auch das erste Mal, dass ich Musik wirklich lieben lernte.

In den folgenden zwei Jahren widmete ich fast mein gesamtes Dasein dem musikalischen Schaffen von Linkin Park. Diese Band und allen voran ihr charismatischer Frontmann Chester Bennington wurden in dieser Zeit nicht nur zu heroischen Figuren, sie halfen mir in dieser Lebensphase auch beim Finden einer eigenen Identität. Mein allererstes Konzert überhaupt war 2010 der Auftritt von Chesters Nebenprojekt Dead By Sunrise. Dieses Erlebnis werde ich niemals vergessen. Ich verließ das Hamburger Docks damals mit den Worten: „Das war das Beste, was ich jemals gemacht habe.“ Wie recht ich hatte. Dieser Augenblick hat mich geprägt, und heute ist meine Konzertliebe ins unermessliche gewachsen – wohl auch, weil der Startschuss so genial war. Chester kam nach dem Konzert noch zu seinen Fans und verteilte Autogramme – eine beeindruckende Geste, zu der heute nur noch wenige Künstler die Größe besitzen. Ein ebenso erhabener Augenblick war mein erstes Linkin-Park-Konzert ein halbes Jahr später. Meine Familie hatte mich mit den Karten zum Geburtstag überrascht, und obwohl mein Vater und ich die hinterletzten Plätze hatten, hatte ich das Gefühl, meiner Lieblingsband ganz nah zu sein. Bei „Leave Out All The Rest“ war ich den Tränen nah.

In meinem späteren Leben verloren Linkin Park und Chester Bennington ihr Dasein als meine alleinigen Idole. Ich begann, mich auch für andere Bands aus der Nu-Metal-Ära zu interessieren, mein musikalischer Horizont erweiterte sich mit der Zeit immer weiter. Ich begann, mir eine CD-Sammlung aufzubauen, regelmäßig Konzerte zu besuchen und mich auch für ganz andere Genres zu interessieren. Dennoch ist Chesters Musik und seine Person nie ganz von mir gewichen. Meine erste Freundin lernte ich mit 15 über unsere gemeinsame Liebe zu Linkin Park kennen. Die musikalische Ausrichtung der Band gefiel mir zunehmend weniger, dennoch erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich alle Platten schlussendlich doch zum Release kaufte. Und vor allem werde ich nie vergessen, welchen Status Chester Bennington für meine gesamte Entwicklung gespielt hat. Auch ich habe über die letzte Platte seiner Band nur wenig gute Worte verloren, doch ich habe nie vergessen, was sein Werk in mir ausgelöst hat. Ohne diesen Mann hätte ich vielleicht nie verstanden, was es bedeutet, Musik wirklich zu lieben. Ohne diesen Mann würde ich jetzt vielleicht nicht mehrere überquellende CD-Regale besitzen. Ohne diesen Mann hätte ich vielleicht nie angefangen, Musikwissenschaft zu studieren. Ohne diesen Mann hätte ich vielleicht niemals die Passion des Musikjournalismus‘ für mich entdeckt. Ohne diesen Mann wäre ich mit Sicherheit ein ganz anderer Mensch geworden.

Was ich an Chester Bennington aber immer am meisten bewundert habe, war seine Menschlichkeit. Star-Allüren waren für diesen Mann kein Thema, er war stets der freundliche, spaßige und herzliche Musiker von nebenan. Ich erinnere mich, wie ich mit meiner damaligen Freundin ganze Nachmittage mit dem Schauen von Linkin-Park-Backstage-Videos verbracht hatte. Chester hatte nie ein leichtes Leben, doch anstatt zu verzweifeln, nutzte er seine Erfahrungen, um anderen Hoffnung zu geben. Auch mir machten seine Texte in meiner nicht immer leichten Jugend oft Mut. Chester Bennington hat mit seiner Person zweifelsohne viele Leben gerettet. Es ist erschütternd, dass er sich nicht selbst retten konnte.

Schließen möchte ich mit keinem Zitat von Linkin Park, sondern mit den Worten von Touché Amorés Jeremy Bolm:

„So write a song that everyone can sing along to/
so when you’re gone, you can live on, they won’t forget you.“

 

Chester Bennington Linkin Park

 

Ole Lange:

Ich weiß selbst gar nicht so ganz, wo ich anfangen soll. Linkin Park ist für mich die Band, mit der ich zusammen groß geworden bin. Wann ich genau angefangen habe, die Band zu hören, weiß ich nicht wirklich. Jedenfalls war “One Step Closer” das erste Lied, welches ich von diesen Menschen hören durfte. Man hat nicht immer das Glück, dass man mit solcher Musik aufwachsen darf. „Hybrid Theory“ kam 2000 raus. Da war ich gerade mal zwei Jahre alt und habe es dennoch schon oft gehört.

So richtig mitgeschnitten, dass es LP gibt, habe ich glaube ich aber erst gegen 2003. „Meteora“ war für mich dann dieser Durchbruch der Band. Ich habe seither nur noch „Numb“, „Faint“ oder „Breaking the Habit“ gehört. Selbst zur Einschulung und auf meinen Wegen mit meiner Mutter im Auto lief andauernd Linkin Park. Zumindest immer dann, wenn ich sie überreden konnte. Alleine die Stimme von Chester Bennington beruhigte die Angst, in die Schule zu gehen. Ich konnte damals zwar noch kein Englisch, dennoch habe ich die Lieder so gut wie möglich mitgesungen, auch wenn ich den Text gar nicht aussprechen konnte, geschweige denn verstanden habe.

Als ich mich dann aber intensiver mit der Musik beschäftigt habe, habe ich auch immer mehr verstanden, wie viel Schmerz doch in den Texten steckt. Seitdem habe ich jedes verdammte Mal in der Grundschule Linkin Park gehört, wenn es mir schlecht ging. Und mir ging es oft schlecht. Ich weiß nicht, wie oft ich zusammen mit meinen Kopfhörern auf die Schultoilette gegangen bin und Linkin Park gehört habe. Mit der Zeit kam dann aber auch das nächste Album und ich verliebte mich erneut in diese Emotionen. Selbstverständlich muss an dieser Stelle „Transformers“ und im gleichen Atemzug „What I've Done“ erwähnt werden. Gott, wie ich dieses Lied geliebt habe und immer noch tue. Als kleiner Pups sitzt du mit 8 oder 9 Jahren vor dem Fernseher, schaust diesen beeindruckenden Film und hörst dann noch dieses Lied von diesem Mann und dieser Band. Die Veränderung in der Musik passte so gut zu der Veränderung in meinem Leben. Es kam mir damals so vor, als ob Chester mir mehr und mehr aus der Seele geschrien hat, weil er so viel Schmerz verspürte. Es ging auch bei mir nicht sonderlich bergauf und mit dem Schulwechsel auf das Gymnasium kam eben auch das neue Linkin-Park-Album. In den dunkelsten Phasen gab es immer wieder Lieder wie „Bleed It Out“, die einen einfach gepackt und hochgezogen haben. Ich habe das Gefühl, dass Chester Bennington immer die Melodie und Energie hatte, die mir nie einfallen wollte.

Mit „A Thousand Suns“ kam 2010 dann mein absolutes Lieblingsalbum der Band heraus. Viele wollten die harten Klänge zurück, selbstverständlich. Aber das Album war für mich so wichtig. Ich werde „Burning in the Skies“, „Iridescent“ oder „The Catalyst“ wahrscheinlich mein Leben lang auswendig können. Zudem befand sich auf dem Album „Waiting For The End“. Der Song hat es wirklich in einen Til-Schweiger-Film geschafft. Eigentlich eine Schande, aber „Schutzengel“ ist zum Glück der einzig gute Film von dem Kerl. Mit „Living Things“ ging es mir dann irgendwie nicht mehr so wie bei den vorherigen Alben. Es gab immer noch diese Songs, die einfach geil waren, aber es hörte sich nicht mehr so kämpferisch an. Ich verbinde gerade in meiner Kindheit so viel mit dieser Musik. Ich vermag nicht zu sagen, wo ich jetzt stehen würde, wenn es Linkin Park und Chester Bennington nicht gegeben hätte.

Ich danke dir für jedes einzelne Wort, für jede sich in meinen Kopf eingebrannte Melodie, für jeden Song. Du hast mir geholfen, so wie vielen anderen sicherlich auch. Ich hoffe sehr, dass du das mitbekommst und es dir nun gut geht, wo auch immer du bist. Mach's gut.

 

„Do you feel cold and lost in desperation?
You build up hope, but failure's all you've known
Remember all the sadness and frustration
And let it go.“

 

Solltet ihr suizidgefährdet sein oder jemanden kennen, der suizidgefährdet ist, könnt ihr jederzeit bei der Telefonseelsorge Hilfe suchen, Telefon: 0800 - 111 0 111 oder 0800 - 111 0 222, und im Internet unter telefonseelsorge.de. Hilfsangebote gibt es auch unter suizidprophylaxe.de.