Kolumne

Jahresrückblick Marco 2021

Album des Jahres

Die Pole-Position der nachfolgenden 8 Kategorien übernimmt der mit Abstand kniffligste Vertreter seiner Zunft. Handelte es sich an dieser Stelle um ein Siegertreppchen, so müssten Stings „The Bridge“ oder „For Those That Wish To Exist“ (Architects) Erwähnung finden. Auch Lord Of The Lost, die Broilers (2x) und Santiano haben überzeugende Werke veröffentlicht. Doch das in Summe stimmigste Gesamtkonzept bietet „Dark“. Den Blackout Problems gelingt es, das Weltgeschehen in atmosphärische Meisterwerke zu überführen. Ausnahmslos jeder Song hat seine Daseinsberechtigung, stilistische Überschneidungen sind kaum vorhanden. „Dark“ zündet beim ersten Durchlauf und büßt auch ein knappes Jahr nach Veröffentlichung nicht an Strahlkraft ein. Ein immens schweres Erbe für nachfolgenden Werke der Münchener Szenelieblinge.

Comeback des Jahres

Kaum tönte im Frühjahr 2021 „Let The Bad Times Roll“ aus den Lautsprechern, dürfte dies jedem Fan kalifornischen Punk-Rocks ein Lächeln hervorgelockt haben. Nachdem das schlussendlich präsentierte Album über mehrere Jahre und in aller Regelmäßigkeit vorhergesagt wurde, sorgt es nun für eine gesunde Mischung aus Geschwindigkeit („The Opiod Diaries“), hymnischen Partyhits („Coming For You“) und Emotionen („Gone Away“). Sind die 1990-er Jahre wirklich schon so lange her? The Offspring halten den Mythos am Leben.

Konzert des Jahres

Ob dieser Award in Anbetracht der überschaubaren Gesamtzahl von Konzerten wahrhaft belastbar sein kann? Darüber lässt sich sicherlich streiten. Unstrittig ist hingegen, dass die Giant Rooks die Gilde Parkbühne zu Hannover trotz sintflutartiger Regenfälle und verschärfter Hygieneauflagen zum Beben gebracht haben. Die allseitige Freude war förmlich spürbar und am Merchandise-Stand wurden auch im Jahr 2021 noch CDs verkauft. Die Senkrechtstarter konnten die zum Ende eisigen Temperaturen für eine Zeitspanne von geschätzten 90 Minuten vergessen machen. Bandklassiker der Marke „Wild Stare“ blieben noch lange im Gedächtnis. Daumen hoch für Setting, Publikum und die unterhaltsame Pandemieflucht.

Interview des Jahres

Die samtpfotige Begleitung in Fußnähe führt dazu, dass sich Dunja Hayalis Interview mit Sammy Amara (Diffus-Titelstory) nie in allzu sphärischen Höhen bewegt. Rein zufällig stoßen die beiden auf zahlreichen Gemeinsamkeiten – sei es nun in ihrem kulturellen Background oder in ihrer Sicht auf das gesellschaftspolitische Tagesgeschehen. Kein kritischer Journalismus im klassischen Sinne, sondern ein gemütliches Kaffeetrinken unter altbekannten Weggefährten. Weggefährten? So scheint es zumindest, denn es hat sich tatsächlich um das erste Aufeinandertreffen der beiden Charakterköpfe gehandelt. Die seither bestehende Freundschaft ist kaum überraschend und wurde nicht zuletzt in Sammys Dachbodenepisoden (Empfehlung!) mit einigen Ausrufezeichen versehen. Das Gespräch hätte gerne noch einige Minuten/Stunden länger gehen dürfen.

Songtext des Jahres

Eine pandemische Ausnahmesituation, eine polarisierte Gesellschaft und eine wegweisende Bundestagswahl ohne Amtsbonus: der bereits lobpreiste Sammy Amara hat diese merkwürdige Ausgangslage genutzt, um seiner virtuellen Schreibfeder ein paar aufheiternde Zeilen zu entlocken. Die Beziehungsprobleme von „Alice und Sarah“ werden öffentlich zur Schau gestellt und böse Zungen könnten reale Personen darin wiederfinden. Dass sich sogar die „Ultimative Chartshow“ an diesem Song erfreut, ist gleichsam erstaunlich und amüsant. Ein Durchlauf des dazugehörigen Musikvideos sei an dieser Stelle ans Herz gelegt.

Cover des Jahres

Dass Saltatio Mortis Freunde des gepflegten Medienkonsums sind, ist beileibe kein Geheimnis. So haben sie bereits allerlei Interviews mit ihrer Leidenschaft für Videospiele und Serien gefüllt. Dass sie es allerdings schaffen, den Vikings-Titeltrack „My mother told me“ in einem völlig neuen, aber ebenso überzeugenden Kontext erstrahlen zu lassen, verdient Anerkennung und Respekt. Speziell unter der Voraussetzung, dass das letzte Studioalbum recht durchwachsen ausfiel und ebenjenes eine tiefe Kluft zwischen Traditionalisten und Reformer geschlagen hat. Die Qualität dieses Covers dürfte für eine zwischenzeitige Waffenruhe gesorgt haben.

Weiterentwicklung des Jahres

Auf „Sturmfahrt“ schien der Eisbrecher noch zu stagnieren, doch dann entschied sich die Band um das kongeniale Musikerduo Pix/Wesselsky, erfinderische Schritte heraus aus der Komfortzone zu wagen. Pionierarbeit, welche auf „Liebe Macht Monster“ ihre vitalisierende Wirkung entfaltet. Die Platte lebt von innovativen Momenten („Fakk“), präsentiert sich aber im Stile früherer Werke ebenso markerschütternd („Systemsprenger“) und anklagend („Dagegen“). Nicht ohne Grund genießt man einen Sonderstatus innerhalb der Neuen Deutschen Härte, völlig losgelöst von Rammstein-Plagiaten.

Positionierung des Jahres

Heaven Shall Burn produzieren sie, das Wacken Open Air bucht sie und auch der Dunkle Parabelritter hat durch sie seinen Gefallen am deutschsprachigen Rock (wieder-)gefunden: Dennoch lastet Kärbholz durch ihre vermeintliche Szenezugehörigkeit ein Stempel an, zu dem sie sich mit „Nie wieder“ positionieren. Der unmissverständliche Text wird von einer druckvollen Abmischung beflügelt, die sich zwischen Motörhead und dem Schatten der früheren Volbeat bewegt. Dem kritischen Diskurs weicht man indes nicht aus, wie Interviews mit dem Leipziger Volksblatt (2017), der Ostsee Zeitung (2019) oder der RockAntenne (2021) zeigen.