Kolumne

Jahresrückblick 2021: Paula

Dieses Jahr war irgendwie alles ein wenig realitätsfern. Antifaschistische Aktivist:innen kommen in den Knast, während die Nazis auf den Treppen des Bundestages stehen und eine „Revolution“ starten wollen. Wenigstens gab es da noch ein paar gute Alben, die meine Stimmung etwas anheben konnten.

Album des Jahres

Ich liebe es, mich von Panik Panzer anschreien zu lassen, während Danger Dan mal wieder sein Klavier zerfetzt. „Das ist alles von Der Kunstfreiheit gedeckt“ ist das lang ersehnte Klavieralbum von Danger Dan, welches nicht nur in der Antilopen Community für Wirbel gesorgt hat. Auf einmal war der Name Danger Dan wieder überall zu lesen und das vollkommen zu recht. Mordmethodikfantasien und hasserfüllte Schreie neben Liebesgeständnissen und, wie man es von Danger Dan und der Antilopen Gang schon kennt, politischen Parolen gegen den Staats- und Polizeiapparat, durch welchen immer wieder Menschen ihr Leben verlieren.

Song des Jahres

Disarstar und Nura machen einen Track für die Außenseiter, die Nichtsnutze und die, die jeder schon längst aufgegeben hat. In „Trauma“ beschreiben die beiden teils die Verhältnisse, aus denen sie kommen und teils die Scheiße, die sie schon durchleben mussten. Von der Hand in den Mund leben mit einer stetigen Stimme im Nacken, die einem einredet, dass man es sowieso niemals zu etwas bringen wird. Und aus alltäglichen Erlebnissen wird das Trauma, welches als stetiger Begleiter immer hinter dir schleicht und auf einen schwachen Moment wartet. Der Track hat Tiefgang unterlegt mit harten Beats und teils wutentbrannten Punchlines gegen all die, die einem Steine auf den ohnehin schon steinigen Weg gelegt haben. Deswegen ist „Trauma“ mein persönlicher Favorit aus dem Jahr 2021.

Punchline des Jahres

„Kurz Betroffenheit, doch ich seh keinen, der Alarm schlägt

Weil das Opfer leider keinen deutschen Namen trägt“ 

 

Gefühlt täglich treten neue „Einzelfälle“ in Form von rechtsextremen Chatgruppen oder Netzwerken innerhalb des Staates, der Polizei und der Bundeswehr auf. Immer mehr „verwirrte Einzeltäter“, wie in Hanau, Halle oder Kassel, die Menschen aus rassistischen Gründen umbringen. Mit dem Track „Einzelfall“ haben es Neonschwarz auf den Punkt gebracht.

Während rechtsextreme Netzwerke weiterhin geleugnet werden und politisch motivierte Anschläge zu „Einzelfällen“ umgedichtet werden, werden Menschen aus dem antifaschistischen Spektrum immer wieder in die Ecke gedrängt. Teilweise mit Haftstrafen wird versucht, gezielt einzuschüchtern, oder es wird eben 129a verhängt, damit Häuser durchsucht und menschliche Privatsphäre zerstört werden kann. Dieser Track gibt einem die Energie, um weiter gegen rechts zu kämpfen, egal was der Staat dazu sagt. Denn antifaschistische Arbeit ist notwendig und kein Verbrechen.

Musikvideo des Jahres

Es gab schon das ein oder andere Musikvideo, welches meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Doch bei Lil Nas X Video zu „Montero“ hockte ich für ungefähr 15 Minuten mit offenem Mund vor meinem Computer und konnte kaum in Worte formen, was ich eben erblickte.

Ich meine, er gleitet an einer Poledancestange in die Hölle, um dort zunächst Satan einen Lapdance zu geben, nur um ihn dann zu töten und sich selbst als neuen Satan zu krönen. Dabei bricht er bewusst Gender Stereotypen und metaphorisiert seine eigenen inneren Konflikte, die vor allem im Bezug auf die Kirche noch weiter verstärkt wurden. Zudem ist das Video so unfassbar detailreich, man taucht förmlich in eine ganz neue Welt ein, in welcher man sich nicht für seine Identität schämen muss.

Newcomer:in des Jahres

Es nervt, wenn Menschen einem ständig erklären wollen wie man sich zu geben hat, welche Kleidung man tragen darf, oder wie viele Geschlechter es gibt und zu welchem man gehören muss. Genau gegen dieses Gerede von homophoben Menschen richten sich die Texte von AVERY. Es fliegen Punchlines gegen unreflektierte Cis Männer und diejenigen, die einfach nicht ihre homophobe Schnauze halten können. Queer-feministischer Rap gegen Schubladendenken und die von Cis Männern dominierte Raplandschaft. Genau solche Menschen braucht der Rap, um sich weiterentwickeln zu können. Deshalb ist AVERY für mich der Newcomer des Jahres.

Feature des Jahres

Das Feature des Jahres ist ganz eindeutig die lang ersehnte musikalische Vereinigung der Antilopen Gang und Zugezogen Maskulin. „Auf sie mit Gebrüll“ ist genau das, was man bei einem Zugezogen Antilopen Song erwartet: Eine aggressive Anti Alles Attitüde mit dem Potential, sich komplett der Eskalation hinzugeben und auf alles und jeden im direkten Umkreis einzutreten.

Der weirdeste Release des Jahres

Arbeit ist scheiße. So kann man das Album von Florida Klaus ganz gut zusammenfassen. Es geht um den Vollautomatisierten Luxuskommunismus, wobei das nicht nur sein Albumtitel ist, sondern auch der Wahlkampfspruch, mit welchem er für die Partei Die Partei kandidiert hat. Eigentlich will Florida Klaus einfach nur eine Welt ohne Arbeit kreieren, in welcher alle Aufgaben von Robotern erledigt werden. Und wer kann ihm das schon verübeln? Dazu kommt noch sein absolutes Talent für meiner Meinung nach die gleichzeitig weirdesten und besten Adlips zu kreieren. Vor allem im Track „Shavasana“ liegen die Laute, die Florida Klaus von sich gibt, fernab von Gut und Böse. Der entspannte Parkbankflair und die abgespaceten Adlips machen den „Vollautomatisierten Luxuskommunismus“ zur definitiv weirdesten Platte dieses Jahr.