Kolumne

Die 10er-Jahre und ihre Musik: Eine Review (Teil 3)

Das Jahrzehnt neigt sich dem Ende entgegen. Zeit, mal einen Schritt zurückzugehen und die Musik der 10er-Jahre Revue passieren zu lassen. Was bleibt hängen? Und wie wird man sich an die Musik dieser Dekade zurückerinnern? Ein Blick auf Rock, Pop und HipHop.
Kendrick Lamar

HipHop – die neue Popmusik

Um eines gleich vorwegzunehmen: Die 2010er-Jahre waren das beste Jahrzehnt für HipHop seit der Existenz des Genres, und ja, auch inklusive der als „Golden Era“ bezeichneten 90er-Jahre. Noch nie war die stilistische Vielfalt so groß, noch nie war Rap kulturell so relevant und noch nie war HipHop kommerziell so erfolgreich wie heute. Diese Dekade sah die Vergabe des Pulitzer-Preises an Kendrick Lamar, genreprägende Meilensteine wie „To Pimp A Butterfly“ oder „IGOR“, ein Aufblühen des britischen Grime und die nahezu vollständige Übernahme der internationalen Charts sowie der Schulhöfe dieser Welt. Kein Zweifel – HipHop ist die neue Popmusik.

Die Frage ist eigentlich nur: Hat HipHop schlicht den Status der Popmusik erreicht, oder ist es selbst zu Pop geworden? Nicht umsonst ging einer der größten HipHop-Diskurse in diesem Jahrzehnt nicht etwa um Flows, Samples oder Beats, sondern um einen Effekt zur Stimmmanipulation. Kann man ein Werk wie „IGOR“ – so großartig es ist – mit seinem zuckersüßen Gesangslinien und schwelgenden 80er-Synthies überhaupt noch als HipHop bezeichnen? Ist Drakes unterkühlter Beziehungsunfähigkeits-Soundtrack nicht viel ehr R’n’B als Rap? Und was bitte unterscheidet Bausas „Was du Liebe nennst“ von einem handelsüblichen Pop-Schlager?

An abgesteckten musikalischen Parametern lässt sich HipHop längst nicht mehr festmachen, genauso wenig wie an den Werten der ehemaligen Jugendkultur (vier Elemente, Writing, Breaking etc...), die für die kommerzielle Ausbreitung des Genres quasi keine Rolle spielen. Der allumfassende Begriff HipHop ist inzwischen so überholt wie jegliche Gitarrenmusik unter der Bezeichnung „Rock“ zu verbuchen. Der aktuelle HipHop ist vor allem eines – der Zeitgeist dieses Jahrzehnts. Und da wird es dann interessant.  

Denn was sagt es eigentliche über eine Zeit aus, wenn sie angeknackste Hedonisten-Typen wie Drake oder Post Malone zu ihren Popstars erhebt? Oder einen geradezu surrealen Fetisch für luxuriöse Modemarken entwickelt? Wenn eine Shirin David in ihrem Videos neben überlebensgroßen Gucci-Taschen posiert, dann könnte man das ja schon fast als clevere Ideologiekritik auffassen, hätte die Realität die Parodie nicht schon längst eingeholt. Doch passt nicht auch das wie die Faust aufs Auge zu einem Jahrzehnt, indem die Trump-Parodie nicht mehr von der Wirklichkeit zu unterscheiden ist? HipHop ist die neue Popmusik – nicht, weil seine Akteure wie niemand sonst die neuen Vermarktungsmechanismen für sich zu nutzen wissen, sondern weil das Genre den Zeitgeist derzeit am besten und am vollständigsten darstellt. In dieser Hinsicht ist HipHop tatsächlich der viel zitierte Spiegel der Gesellschaft. Passend, dass das Genre zunehmend zersplittert.