Kolumne

Die 10er-Jahre und ihre Musik: Eine Review (Teil 1)

Das Jahrzehnt neigt sich dem Ende entgegen. Zeit, mal einen Schritt zurückzugehen und die Musik der 10er-Jahre Revue passieren zu lassen. Was bleibt hängen? Und wie wird man sich an die Musik dieser Dekade zurückerinnern? Ein Blick auf Rock, Pop und HipHop.
10er Jahre Teil 1

Rock ist tot – Es lebe der Rock!

Es gab mal eine Zeit, da war der Begriff Rock gleichbedeutend mit Popmusik, damals, in den 60er- und 70er-Jahren, als Bands wie die Beatles und die Rolling Stones ein völlig neues Musikverständnis prägten. Doch diese Zeiten sind vorbei. Schon Ende der 90er wurde klar, dass es abwärts gehen würde. Nach und nach verschwanden die Rock-Singles aus den Top 100, ein Trend, der sich auch in den 2000er-Jahren trotz Nu Metal und Indie-Welle weiter fortsetzte. Jetzt, am Ende der 10er-Jahre, muss man vermelden: Es ist vorbei. Rock als Mainstream-Genre ist offiziell tot.

Zwar gibt es noch große Rockbands, namentlich zum Beispiel die Foo Fighters oder Arctic Monkeys. Nur haben all diese Bands gemeinsam, den Grundstein für ihren kommerziellen Erfolg in einer vergangen Ära gelegt zu haben. Es sind die Dinos, die ihre Popularität von einst über die Zeit retten konnten und selbst das nur in Teilen. Die Zahl der neuen Rockbands mit Mainstream-Erfolg lässt dich dagegen an einer Hand abzählen. Sie zu finden wird auch dadurch erschwert, dass man sie von der gängigen Pop-Meta kaum noch unterscheiden kann. Dennoch lohnt sich der Blick auf die Billboard Hot100-Listen der letzten zehn Jahre, allein schon, um sich der gähnenden Leere bewusst zu werden. Also, wen findet man da denn so?

Da wären zum Beispiel die Imagine Dragons, ein Kollektiv, das sich inzwischen zum zuverlässigsten Lieferanten für Werbe-Soundtracks entwickelt hat, womit ihre musikalische Kragenweite auch hinreichend beschrieben wäre. Die Gruppe Mumford & Sons hat es zwar in keine der Jahresendlisten geschafft, soll hier aber aufgrund von mehreren Nummer-Eins-Hits in den vergangen Jahren ebenfalls Erwähnung finden, auf dass man ihr grausames Folk-Geschrammel für immer vergessen möge. Und natürlich: Maroon-Leute-nennen-so-etwas-Rock-?-5, eine Band, wie von einer künstlichen Intelligenz errechnet, mit dem interesseweckenden Appeal einer Scheibe Weißbrot, die sich zwar dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners folgend für die Superbowl-Halftimeshow qualifizierte, doch selbst bei dieser Gelegenheit einen Gastrapper mit Namen Travis Scott an die Seite gestellt bekommen musste, um dem faden Gesülze genannt „Adem Levins Gesang“ irgend eine Form von Geschmack entgegenzusetzen.

Das war’s dann aber auch schon. In Deutschland sieht die Lage nicht viel besser aus. Die Toten Hosen konnten sich 2012 mit „Tage wie diese“ zwar sogar noch auf Rang 2 der Jahrescharts vorschieben, zur Ehrenrettung des Genres sollte man diesem ekelhaft pathetischen Kartoffelpop-Versuch jedoch die Bezeichnung „Rockmusik“ ersparen, zumal es sich bei den Hosen um genau so einen Dino handelt, wie zu Beginn am Beispiel der Foo Fighters beschrieben. Zu dieser Kategorie zählen im Übrigen auch die Ärzte, die in diesem Jahrzehnt ihre Rückkehr einläuteten. Immerhin etwas.  

Und was heißt das jetzt? War’s das? Ist Rockmusik für immer tot? Natürlich nicht. Vielleicht ist es sogar gar nicht so schlimm, dass Rock aktuell aus dem Mainstream verschwindet. Ein Beispiel: Bevor der Rock’n‘Roll Ende der 50er-Jahren aufkam und alles an sich riss, gab es schon mal eine Musikrichtung, die als Pop bezeichnet wurde – die Rede ist von Jazz, genauer gesagt von den Swing-basierten Jazz-Standards eines Frank Sinatra oder Glen Miller. Mit Aufkommen der neuen Jugendkultur wurde diese Musik zunehmend aus den Charts verdrängt – ganz ähnlich, wie es der HipHop derzeit mit Rock und Pop tut – und Jazz wurde zur Nische. Doch ist Jazz gestorben? Im Gegenteil. Es tat dem Genre sogar gut. Die neu gewonnene Freiheit ebnete schlussendlich den Weg für innovative Geister wie John Coltrane, Miles Davis oder Herbie Hancock, die den Jazz in den darauffolgenden Jahrzehnten immer wieder revolutionierten und zu neuen Höhen führten.

Ganz ähnliches könnte Rock auch passieren, genauer gesagt, es passiert bereits. Regelmäßige Leser dieses Magazins könnten wahrscheinlich aus dem Stand dutzende Bands und Subszenen nennen, die ihren Mainstream-Counterparts in Sachen Ideenreichtum bereits meilenweit voraus sind. Anstatt einem Zeitgeist nachzuhecheln oder alten Glanzzeiten hinterherzutrauern, sollte sich Rock auf diese Szenen konzentrieren. Und wer weiß, vielleicht schwingt sich eines Tages eine dieser Subszenen auf, um mit einem außer Kontrolle geratenen Mainstream aufzuräumen, so wie es 1991 die Seattle-Grunge-Scene mit Hair-Metal und Glam-Rock tat. Vielleicht auch nicht. Doch ein stumpfes Replizieren des bereits Dagewesenen ist nicht mehr als die künstliche Beatmung eines bereits toten Patienten. Es wird Zeit, den Stecker zu ziehen. Rock muss sterben, damit seine Kinder leben können.