Kolumne

Quo vadis, Rockmusik?

Fans von Rockmusik sehen ihr wertvollstes Kulturgut durch den Vormarsch des Hip-Hops bedroht. Doch stirbt Gitarrenmusik wirklich aus? Und ist der wirtschaftliche Niedergang des Rock überhaupt etwas Schlechtes?
Franz Ferdinand Live

Der jährliche Musikreport der Nielsen Company zeigte Anfang des Jahres Zahlen, die Fans der Rockmusik wohl schon lange hatten kommen sehen, aber nie so ganz hatten wahrhaben wollen: Erstmals hat Hip-Hop den Rock als meistkonsumiertes Genre in den USA überholt. Eine Trendwende, die sich seit langem abgezeichnet hatte: Gigantische neue Rock-Sensationen gibt es kaum noch und Stadien füllen nur noch alteingesessene Legenden, die ihren Zenit eigentlich längst überschritten haben. Immer mehr Rockstars segnen das Zeitliche oder gehen in ihren wohlverdienten Ruhestand: Der Tod von Lemmy Kilmister bewegt Fans harter Gitarren auch nach zwei Jahren noch, Black Sabbath haben ihre letzte Welttournee jüngst beendet und auch Slayer kündigten kürzlich ihr Ende an. Das ist ganz natürlich, doch die Frage ist, wo die Äquivalente der 2010er Jahre bleiben.

Für Rockfans fällt die Antwort ernüchternd aus: Die Shooting-Stars der Gegenwart heißen nicht Ozzy und Lemmy, sondern Kanye und Kendrick. Der neue Zeitgeist setzt nicht auf wilde Gitarrensoli und scheppernde Drums, sondern auf lässige Beats und elektronische Sounds. Die Zeiten, in denen Sex, Drugs und Rock’n’Roll die Prämissen waren, sind längst vorbei. Da darf man sich als Rockfan durchaus die Frage stellen: Steht das Genre kurz vor dem Aus oder durchlebt Gitarrenmusik lediglich ein Zwischentief? Und falls der Rock eine Zukunft hat, wie sieht diese aus?

Zunächst bleibt festzuhalten, dass der Rock mit Sicherheit alles Andere als tot ist. Festivals wie Rock am Ring setzen nach wie vor zehntausende Tickets ab und erreichen dabei sogar ein äußerst junges Publikum. Natürlich treten am Ring auch Jahr für Jahr eine Menge Rapper auf, die zugkräftigen Headliner heißen aber nach wie vor Metallica, Foo Fighters oder System Of A Down. Und auch der Blick auf den britischen Markt lässt durchaus hoffen. Dort verzeichnet gerade die Indierock-Szene nach wie vor beeindruckende Erfolge, Bands wie Catfish And The Bottlemen, The Hunna oder vor allem Royal Blood sind auch international auf dem Vormarsch. Nein, zur Zeit hat Rockmusik noch viel zu viele Liebhaber, als dass sie einfach so aussterben könnte. Dennoch: Dass sich diese Musikrichtung kommerziell gesehen momentan auf dem absteigenden Ast befindet, lässt sich nur schwer leugnen. In den Top 10 der erfolgreichsten US-amerikanischen Künstler von 2017 befindet sich nicht ein Rock-Act, und die letzte große Welle von Rockmusik ging Anfang der 2000er zugrunde. Interessanterweise war dieses letzte große Aufleben der Nu-Metal, der Rap mit Rockelementen vereinte, und somit durchaus als eine Art Übergangsphase gesehen werden kann.

Rockkonzert

Eine genaue Vorhersage für die Zukunft der Rockmusik zu treffen ist kaum möglich. Kultur befindet sich immer im Wandel, entwickelt neue Stilrichtungen und Epochen, durchlebt gleichzeitig aber auch immer wieder retrospektive Strömungen. Ein Revival des Rock ist daher nicht einmal ausgeschlossen, plausibler erscheint allerdings, einen Blick auf ein anderes Musikgenre zu werfen, das den Mainstream mittlerweile verlassen hat: den Jazz.

Man mag es sich heute kaum noch vorstellen, aber bis in die späten 50er war Jazz-Musik einmal die Pop-Musik der Massen. Gerade die Ende der 20er Jahre eingeleitete Swing-Ära begeisterte das Publikum weltweit. Auch hier war die USA der Trendsetter, und vor allem nach Ende des zweiten Weltkriegs und der damit verbundenen Auflösung des restriktiven Nazi-Regimes konnte sich auch Deutschland kaum noch vor neu gegründeten Jazzkellern retten. Was aber ist geschehen, dass der Jazz heute eine völlig andere Rolle in der Musiklandschaft einnimmt als noch vor einigen Jahrzehnten? Ihm ist schlichtweg das passiert, was gerade dem Rock widerfährt: Er wurde von einer anderen Strömung verdrängt, nämlich dem Rock’n’Roll. Wichtig ist dabei zu wissen, dass der damalige Jazz nur in seinen Grundzügen mit unserer heutigen Vorstellung dieser Musikrichtung zu tun hat. Der populäre Jazz war wesentlich simpler und glich in seiner Beschaffenheit bisweilen tatsächlich dem Schlager. Wer also behauptet, früher sei alles besser gewesen, weil die Menschen damals noch anspruchsvolle Musik gehört hätten, der irrt sich, denn seine verkopfte, intellektuelle Ausrichtung erlangte der Jazz erst, als er sich aus dem Mainstream entfernte.

Eigentlich ist genau das der springende Punkt: Verschwindet eine Musikrichtung aus dem Massenmarkt, wird sie nicht mehr für das breite Publikum, sondern für die Liebhaber dieses Genres gefertigt. Und genau aus diesem Grund ist es plausibel anzunehmen, dass sich auch der Rock in Zukunft immer stärker auf anspruchsvollere Konzepte konzentrieren wird. Denn seien wir mal ehrlich: In all den Jahren seiner Geschichte sind mittlerweile wohl nahezu alle Grundgedanken des Rock vollständig ausformuliert. Interessant kann da nur noch werden, was sich an den Feinheiten versucht, was die Avantgarde vorantreibt und was mehr ist als nur die bloße Repetition altbekannter Formeln. Das ist noch nicht einmal Zukunftsmusik, sondern passiert bereits heute: Die Toplisten der einschlägigen Magazine beherrscht heutzutage kaum noch, wer einfach nur besonders wild auf seine Gitarre eindrischt und möglichst rotzig in das Mikrofon keift, sondern Acts wie Zeal & Ardor, Algiers oder The War On Drugs, die mutige Musik wagen und Brücken zu neuen Wegen schlagen. Gerade mit solcherlei Prämissen muss der kommerzielle Niedergang der Rockmusik daher nicht unbedingt das Ende bedeuten, sondern könnte im Gegenteil sogar vielleicht in die spannendste Genre-Ära überhaupt führen.

Es ist durchaus verständlich, dass das allmähliche Verschwinden des Rock’n’Roll-Lifestyles viele Menschen traurig stimmt. Aber gerade die Tatsache, dass Menschen diesen Umstand bedauern, beweist, dass der Rock nicht so einfach sterben kann. Denn aus den Köpfen der Fans wird die glorreiche Ära der lauten Gitarrenmusik nie verschwinden, und es ist gut, dass diese Musikrichtung bald wohl nur noch denen gehört, die sie wirklich lieben. Denn Menschen, die Rockmusik nur aufgrund des Zeitgeists beiläufig konsumieren, findet man wohl bereits jetzt nur noch mit dem Smartphone filmend auf AC/DC-Konzerten. Es ist also wie noch nie an der Zeit, dass wir uns und unserer Musikrichtung beweisen, zu was der Rock noch alles fähig ist.