Kolumne

Joes Nagelstudio: "Soul" - wie ich einen Film über Jazz lieben lernte

Trent Reznor und Atticus Ross gaben mit dem Score zu "The Sozial Network" ihr Debüt in der Welt der Filmmusik und haben seither etliche Filme und Serien musikalisch untermalt. Zeit, über den Score von "Soul" zu reden.

Da die Band Nine Inch Nails auch nur aus den beiden Musikern besteht, kann ich hier auch getrost über ihre Scores schreiben und die Menschen aus dem Podcast "Play Watch Listen" nannten den Score nicht umsonst "Nine Inch Nails in major notes".

Mittlerweile haben Reznor und Ross zwölf Filme und Serien mit ihrer Musik untermalt und haben einen Golden Globe, einen Oscar, einen Emmy und auch einen Grammy dafür erhalten.

Zu meinen Favoriten zählt definitiv der Score zur Netflix-Doku-Serie "The Vietnam War" und zum Film "The Girl With The Dragon Tattoo". Letztes Jahr erschienen die Scores zum Film "Mank", welcher von der Schaffung vom Film "Citizen Kane" handelt und ein grausam öder Arthaus-Film ist, bei dem selbst meine Arthaus-liebende Lebensgefährtin irgendwann lieber auf ihre Smartphone blickte (der Score ist gut, aber für mich jetzt immer ein wenig mit diesem Film verbunden) und eben die Musik zum Pixar-Film "Soul". 

Ich war sehr skeptisch, als ich las, dass die beiden einen Pixar-Film mit Musik untermalen werden, aber ich habe falsch gelegen. Es funktioniert so schön und waren es zuvor eher düstere und erwachsenere Filme ("Soul" ist kein direkter Kinderfilm, wird aber definitiv eher von Kindern gesehen, als beispielsweise die "Watchmen"-Serie von HBO), für welche die beiden musikalisch tätig waren, fügt sich die Musik perfekt in "Soul" ein. 

Am 25. Dezember 2020 erschien "Soul" bei Disney+ und ich schlich immer ein wenig um den Film herum, auch weil ich Jazz nicht unbedingt zu meinen Lieblingsgenres zählen würde, bis ich ihn mir am 29. Januar diesen Jahres endlich angesehen habe. Den Score hatte ich natürlich bereits auf Vinyl, CD und auch digital gekauft, jedoch bewusst nicht reingehört, um nicht wie der dämliche Fanboy der ich bin auf einen Song zu warten, während der Film läuft. Dies war eine richtige Entscheidung.

Der Film ist ein liebevoller Animationsfilm vom selben Drehbuchautor, der auch schon "Alles steht Kopf" geschrieben hat und "Soul" schlägt auch ein wenig in die selbe Kerbe. Kurz gesagt: Es geht um einen Jazzmusiker names Joe, der die Chance seines Lebens bekommt, der er schon so lange hinterher träumt. Dabei lernt er so viel mehr. 

Spoiler! Wer den Film noch sehen will, sollte dies nicht lesen!

Joe will Jazzmusiker sein und hält sich mit einem Lehrerjob über Wasser. Ein ehemaliger Schüler verhilft ihm zu einem Job als Pianist mit einer legendären Jazzmusikerin. Bei der unglaublichen Freude darüber, fällt Joe in ein Loch und stirbt. Nun ist es sein einziger Wunsch, zurückzukehren, um seinen Lebenstraum endlich wahr werden zu lassen. Mit Hilfe der Seele "22", welche seit Jahrhunderten erfolgreich jeden Mentor abwehrt, der sie für das Leben auf der Erde bereitmachen will, schafft er es letztlich auch und spielt den Gig. Danach fühlt er sich nicht so wie er es erwartet hätte und spricht die Jazzmusikerin an. Diese erzählt ihm von einem Fisch, der den Ozean sucht, obwohl er sich bereits darin befindet, aber nur das Wasser sieht. Joe realisiert daraufhin, wie sehr er die schönen kleinen Dinge des Lebens für selbstverständlich genommen hat und will nun "22" retten.

Der Score der beiden Musiker lässt ihre typische Handschrift erkennen. Sphärische Synthieklänge mit viel Piano und Effekten. Waren die Scores anfangs immer sehr starr und kühl, sind diese in den letzten Jahren sanfter und menschlicher geworden, ohne die Handschrift zu verlieren. Es gibt leichte Lo-Fi-Einflüsse und passend für einen Pixar-Film über Jazz-Musik ist alles ein wenig verspielter, ohne jedoch kindlich oder chaotisch zu wirken. 

Die Songs sind teilweise bittersüß und voller sanfter Melancholie und teils erinnern sie dann doch wieder ein wenig an die Anfänge mit "The Social Network" mit ihren kühleren Elektroklängen. Die Tracks sind atmosphärisch und funktionieren meist auch ohne die Bilder des Films sehr gut. Ähnlich wie die „Ghosts“-Alben, und doch unterscheiden sich die Scores der beiden Musiker stark von den Platten, welche unter dem Namen "Nine Inch Nails" veröffentlicht wurden. Hier sind es kleine Momente und Augenblicke, während vor allem „Ghosts V“ lange Geschichten wortlos erzählen konnte. Das braucht der Score von „Soul“ nicht, auch wenn es sicherlich ein paar Songs gibt, die ewig weiterlaufen könnten und niemand würde sich beschweren. 

Wenn die Menschen an Filmmusik denken, wird meist John Williams oder Hans Zimmer erwähnt und beide haben es auch verdient, aber in den letzten Jahren haben Reznor und Ross eben ein wenig frische Luft in die Filmmusikbranche geweht und schaffen es mittlerweile, düstere Thriller und sanftmütige Filme über Selbstfindung problemlos musikalisch einzufangen. 

Im Film selbst begegnet der Score immer wieder der Musik des Jazzmusikers Jon Batiste und die drei Musiker ergänzen sich erschreckend gut. Bei "Epiphany" vereinen sie ihre Kräfte dann endgültig. Das Stück, welches Reznor und Ross geschrieben haben, wird von Jon gespielt, um dem Lied den selben Klang zu geben, wie die anderen Stücke, die Joe im Film spielt. Das Ergebnis ist pure Schönheit.

Ich will nicht spoilern, aber wer möchte, kann hier die Szene lesen, in welcher das Stück vorkommt.

Joe fühlt sich nach dem Auftritt nicht so erfüllt, wie er es erwartet hatte und sitzt zu Hause vor seinem Klavier. In seiner Jackentasche findet er plötzlich die Dinge, die 22 gesammelt hatte, als sie in seinem Körper steckte (er war zu dem Zeitpunkt eine Katze. Es ist kompliziert) und sieht, wie sehr sie sich an Dingen erfreut hat, die er gar nicht mehr sieht. Diese Szenen laufen dann vor seinem geistigen Auge ab, während er dieses Lied spielt und spürt, wie sehr er verlernt hat zu leben.

Bis dahin hatte mich der Film unterhalten. Jetzt hatte er mich berührt. Ich weine selten bei Filmen. Das letzte Mal war bei "Marriage Story", als Adam Driver mich einfach nur umgehauen hat. Aber als "Epiphany" kam, kamen die Tränen einfach. Ich war nicht traurig oder so, aber es war einfach so verdammt schön. Die Magie, die da über die Tasten kommt, ist einfach nur beeindruckend. Ich habe das Gefühl, dass der Song vom selben Ort wie "A Warm Place" und "Leaving Hope" kommt, nur dass der Ort mittlerweile weniger düster ist. Es klingt nach Hoffnung. Es klingt warm und hell. "Epiphany" klingt wie eine aufgehende Sonne nach einer langen, kalten Nacht, wenn man morgens das Licht sieht und die Schönheit seiner Umgebung endlich wahrnehmen kann.

Ich mag die Scores der beiden sehr und wurde bisher nie enttäuscht, aber allein dieses Lied macht den Score von "Soul" zu etwas besonderem. Eigentlich untermalt ein Score, aber hier trägt er die Szene. Ich höre den Song seit diesem Tag ständig und meine Lebensgefährtin kann ihn schon nicht mehr ertragen. Selten berühren mich Lieder so sehr und ich hätte auch nicht erwartet, dass mich ausgerechnet ein Score der beiden einmal so sehr trifft. Ich habe von „Soul“ nicht unsagbar viel erwartet, aber für mich persönlich ist dieser Film über einen Jazzmusiker, der viel sucht und mehr findet, einer der besten Animationsfilme der letzten Jahre und Reznor und Ross haben einen großen Teil dazu beigetragen.

Wer Filmmusik mag, sollte sich die Sachen der beiden Musiker auf jeden Fall anhören. Für alle anderen empfehle ich auf jeden Fall "Epiphany". Und den Film!