Kolumne

Joes Nagelstudio: "Leaving Hope" - Nostalgie und Tränen

Nine-Inch-Nails-Songs gehören eher zur düsteren und traurigen Sorte. Oftmals ist es die Kombination aus Text und Musik, die sie zum Soundtrack einer depressiven Episode machen. "Leaving Hope" schafft dies ohne ein einziges Wort und ist dabei so wunderschön zerbrechlich.
ein unscharfes Bild eines Ozeans und einem Teil einer Flugzeugturbine

Ich habe ja bereits eine Ausgabe zu „A Warm Place“ geschrieben. Meine Herz für die ruhigen Instrumental-Songs von Nine Inch Nails gehört aber nicht dem Song von „The Downward Spiral“ allein. Auf der „Still“-EP gibt es „Leaving Hope“ und damit einen der traurigsten und wunderschönsten Songs der Band überhaupt. 

Der Song besteht aus sanften Synthie-Klängen. Sonst nichts. Aber genau diese zurückhaltende Instrumentalisierung macht „Leaving Hope“ so zerbrechlich. Keine Drums oder anderen Instrumente stören die sanften und schmerzhaften Momente, die der Track erzeugt. 

Die Synthesizer-Sounds bestehen, zumindest laut nin.wiki, teilweise aus Reznors Stimme. Ich habe keine wirkliche Quelle dafür finden können, aber erstens vertraue ich nin.wiki und zweitens würde es mich nicht überraschen. Wenn ich bei dem Song "Just Like You Imagined" ab Minute 2:11 auf den Hintergrund-Sound achte, welcher definitiv Reznors umgewandelte Stimme ist, klingt dieser doch sehr wie "Leaving Hope" ab Minute 4. 

Unabhängig von den Ursprüngen der Synthie-Sounds, ist der Song fähig, das Gefühl absoluter Hoffnungslosigkeit einzufangen. Die Leere, die sich in einem Menschen ausbreiten kann, wenn das Leben aus den Bahnen gerät, braucht auch einen Soundtrack und "Leaving Hope" auf Dauerschleife ist perfekt dafür.

Die sich langsam aufbauenden Schichten, das warme Dröhnen und sanfte Wabern des Synthies und die Melancholie, welche aus jeder Note hervordringt, machen auch an schönen Tagen nachdenklich. Die sanften Tastenanschläge und die flächigen Pads schaffen es, Trostlosigkeit und Schönheit zu vereinen und mich jedes Mal erneut in ein Loch herunterzuziehen, welches deutlich weniger hoffnungsvoll als "A Warm Place" klingt und eigentlich keinen Raum für Hoffnung lässt, was der Titel ja schon vermuten lässt. "Leaving Hope" benötigt keine Lyrics. Es wäre auch kein Raum dafür. Der Song ist wie die Sprachlosigkeit, die überwältigen kann, wenn beispielsweise eine Beziehung zerbricht und die Einsamkeit alles übertönt, was sonst im eigenen Kopf existiert. 

Ich persönlich verbinde mit diesem Song aber neben dunklen Tagen auch sehr schöne Erinnerungen an The Meathead Perspective (wer Nine Inch Nails mag, kann bei seinen Videos guten Humor mit vielen Anspielungen finden). Dies war eine Unterseite von The NIN-Hotline und bot vor allem Flash Videos über Reznor an. Meathead hat "Leaving Hope" dabei immer als Song genutzt, wenn es um traurige Momente ging. Die URL selbst existiert zwar noch, aber da der Flash Player tot ist und die Seite seit 2009 keine Updates mehr erfahren hat, gibt es nur noch ein paar Videos bei YouTube. Bis 2009 war die Seite ein Ort im Netz, wo ich meine Obsession mit Nine Inch Nails wiederfand und als der Betreiber bekanntgab, dass er aufhören würde, war ich wirklich traurig, auch wenn ich es ein wenig verstehen konnte.

Für mich funktioniert der Song nach wie vor in beide Richtungen. Ich kann darüber schmunzeln, wenn Trent genervt von Atticus Ross ist (das Video ist deutlich älter als die Tatsache, das Ross das zweite offizielle Bandmitglied wurde) und kann auch Stunden mit diesem Lied auf den Ohren verbringen und mich in Schwermut baden. "Leaving Hope" hat mich durch mehr als eine Krise begleitet und als Hintergrundmusik gedient, wenn ich nachts im Zug saß und einfach aus dem Fenster gesehen habe und nachdenklicher war, als mir lieb ist. Danke dafür. 

Nicht jeder Mensch mag es, sich traurig oder schlecht zu fühlen. Ich halte es für begeisternd, dass Musik aber genau das schafft. Das Gefühl von Verlust, Hoffnungslosigkeit, Trauer und Verzweiflung instrumental zu transportieren ist einfach nur wunderschön und begeisternd. "Leaving Hope" ist so ein Song, bei dem ich in Momente und Gefühle zurückgeworfen werde, die ich eigentlich hinter mir lassen will und wenn es mir schlecht geht, ist der Song da, um mich dabei zu begleiten, sollte ich mal wieder in solche Zeiten geraten. 

Wer ruhige Instrumentalstücke mag und sich, wie ich, gerne in eine miese Stimmung versetzt, einfach weil es geht oder aber gerade eine Scheißzeit durchmacht, sollte "Leaving Hope" eine Chance geben. Ihr werdet es nicht bereuen.