Kolumne

Joes Nagelstudio: "Eraser" - wenige Worte, viel Gefühl

Es ist wieder Zeit, sich einen einzelnen Song anzusehen: „Eraser“ ist ein Fan-Liebling von "The Downward Spiral" und ich hab nicht umsonst ein Shirt mit den Lyrics darauf. Doch was macht diesen Track mit den einfachen Lyrics so besonders?
dreckige wirkendes Bild mit altem Blut, Rost, toten Insekten und dem Schriftzug "ERASER" darüber
Hinweis bzgl. der Vorwürfe gegen Reznor

Courtney Love hat schwere Vorwürfe gegen Reznor erhoben und ich habe das Nagelstudio bewusst pausiert, um zu warten, ob diese sich bestätigen.

Da dies bisher nicht der Fall ist, führe ich diese Kolumne fort.

Hier könnt ihr ein ausgiebiges Statement dazu lesen.

„The Downward Spiral“ ist mein Lieblingsalbum von Nine Inch Nails. Es ist - meiner Meinung nach - das großartigste Rock-Album, welches je geschrieben wurde und „Eraser“ ist definitiv ein Grund dafür. Der Song ist textlich simpel und musikalisch unglaublich komplex, sodass er beim ersten Hören auch schon einmal überfordern kann.

Der Track beginnt ruhig mit den Ausläufen aus „A Warm Place“. Es klingt ein bisschen wie das Summen mechanischer Insekten, steigert sich langsam und plötzlich kommen heftige Drums dazu. Nach und nach erscheinen Synthiespuren, verzerrte Gitarren und bedrohliche Klänge, welche die Industrial-Einflüsse Reznors aufzeigen. Der Song klingt sehr synthetisch und - passend zur Genrebezeichnung - düster und ein bisschen wie eine alte, ungeölte und unrund laufende Maschine. Mehrere Klangschichten und verschiedene Sounds verschmelzen zu einem kontrollierten, chaotisch scheinenden Lärm, welcher über mehr als drei Minuten anwächst. 

Dann, nach dreineinhalb Minuten, wird es plötzlich etwas ruhiger und die Lyrics beginnen.

Lyrics von "Eraser"

Need you

Dream you

Find you

Taste you

Fuck you

Use you

Scar you

Break you

Lose me

Hate me

Smash me

Erase me

Kill me

Textlich ist „Eraser“ sehr simpel. Zu Beginn spricht Reznor zu einem oder einer „You“, wobei nicht klar ist, ob es sich um eine Person, sich selbst oder eventuell Drogen handelt. Der Text klingt nach Abhängigkeit und Verzweiflung. Auch hier gibt es eine Steigerung und Reznors Stimme wird mehr und mehr verzerrt. Beginnt der Text noch mit Worten wie „need“ oder „dream“, ändert sich der Ton im Verlauf über „scar“ zu „erase“ und „kill“, während die Musik auch wieder lauter wird. Passend zum Albumtitel ist es eine Abwärtsspirale, die unweigerlich mit dem Wunsch der eigenen Vernichtung endet. Zum Ende hin ist Reznor kaum noch zu verstehen und verschwimmt mit dem Lärm des Songs. Die letzten Wiederholungen von "kill me" sind kaum noch zu verstehen und werden mehr und mehr von den hämmernden Drums und der brachialen Gitarre überlagert. Meine Freundin beschrieb den Song einmal als "liedgewordene Psychose" und das Ende des Tracks als den Lärm im Kopf, welcher lauter und lauter wird und alles andere überlagert. Passender lässt sich "Eraser" vielleicht nicht beschreiben.

Es gibt mehrere Remixe des Songs und dabei ist auch eine sehr ruhige Version, bei der zwar ein paar Zeilen fehlen, die aber dennoch die düstere Stimmung des Originals transportiert.

"Eraser" war für mich damals, als ich "The Downward Spiral" das erste Mal gehört habe, ein Schock. Die liedgewordene Verzweiflung und der Hass, welcher in den Lyrics und der Stimme mitschwingt, ist etwas, was "The Downward Spiral" ausmacht. Dennoch sticht der Track heraus. Neben dem Titelsong des Albums ist er einer der brutalsten Songs auf der Platte und besticht durch seine Direktheit. Keine verschnörkelten Zeilen, keine wirklichen Metaphern. Auf der Abwärtspirale des Albums sind wir mit "Eraser" bereits sehr weit unten angekommen. "Eraser" ist zwar sehr vage gehalten und funktioniert vielleicht genau deshalb so gut, aber die Grundaussage ist völlig klar. Ob es nun ein Song über Drogenabhängigkeit ist oder Reznor über eine toxische Beziehung singt, ist irrelevant. Das Gefühl, welches er besingt, ist so voll von Schmerz, dass es einfach funktioniert und zumindest ich mich dem Mitleiden nicht entziehen kann. 

Reznor gab später öffentlich zu, kurz vor dem Suizid gestanden zu haben (wenn auch erst nach der Arbeit an diesem Album) und war bekanntermaßen zu dieser Zeit seines Lebens nicht wirklich glücklich. Das ist hör- und spürbar. 

Einfach mal kurz zur Klarstellung: Ich gehöre nicht zu den "Fans" die sich wünschen, dass Reznor nie clean geworden wäre, damit wir mehr solcher Alben bekommen hätten. Ich liebe die Musik, die Reznor nach seiner Drogenzeit herausgebracht hat und bezweifle, dass weitere Alben wie "The Downward Spiral" und "The Fragile" erschienen wären. Vermutlich hätte sich Reznor einfach umgebracht und das wäre ein immenser Verlust für die Musiklandschaft geworden. 

"Eraser" ist ein Song, welchen ich nicht unbedingt oft in Dauerschleife höre. Dafür finde ich ihn nach wie vor einfach zu heftig. Dennoch liebe ich ihn und als meine Freundin vorschlug, diesem Track doch mal eine Ausgabe zu widmen, war ich begeistert. Ich kenne wenige Songs, die mit so einfachen Lyrics so viel aussagen können. Die musikalische Untermalung der Worte ist dabei natürlich ein wichtiger Faktor und zeigt die Songwriting-Fähigkeiten Reznors sehr gut. Wer düstere, depressive, verzweifelte und grausam ehrliche Songs mag, sollte in "Eraser" reinhören. Alle anderen Menschen auch.