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Marks Jahresrückblick 2020

Da ich langsam die Hoffnung aufgebe, dass ich meine Augen öffne und die Welt wieder normal ist oder die sportliche Misere meines Lieblingsclubs endlich ein Ende nimmt, versuche ich das Jahr 2020 als real zu akzeptieren und hier Revue passieren zu lassen. Musikalisch hatte dieses Jahr für mich einige unerwartete Highlights parat, die ich euch an dieser Stelle gerne vorstellen möchte.

Album des Jahres: Es sind in diesem Jahr für mich so viele interessante Alben erschienen, dass mir eine Entscheidung in dieser Kategorie wirklich schwer gefallen ist. In Sachen Punkrock lieferten Sondaschule, Radio Havanna, Massendefekt oder auch Liedfett neue Alben ab. Juse Ju bediente mit seinem Album „Millennium“ erneut genau meine Vorstellung von deutschem Rap. Unter dem Strich bin ich es aber dem neuen Album „Hell“ von Die Ärzte schuldig, ihnen an dieser Stelle diese Ehre zu erweisen. Zu viele Jahre verbinden die Musik der Band und meine Ohren, zu sehr genervt war ich von den letzten beiden Veröffentlichungen, wobei mich „Auch“ deutlich mehr enttäuschte als „Jazz ist anders“. Ich habe faktisch mein halbes Leben damit verbracht auf etwas Brauchbares der Band zu warten, um mich mit den Ärzten wieder zu versöhnen. Siehe da, sie haben es im Jahr 2020 tatsächlich geschafft. Dass die Doppel-Vinyl mit einem Booklet in Vinylgröße daherkommt, ist dabei nur das I-Tüpfelchen. „Hell“ begeistert mich auch ohne den Vergleich mit dem Sound von „damals“ zu bestehen auf seine eigene Art und Weise.

 

Neuentdeckung des Jahres: Ich höre euch schon im Chor „IST DAS DEIN ERNST?!“ rufen, doch es stimmt wirklich. Eine meiner Neuentdeckungen des Jahres 2020 sind tatsächlich die Donots. Das im November erschienene Livealbum „Birthday Slams“ öffnete mir die Tür zum bilingualen Sound der Punkrocker aus Ibbenbüren, bei denen ich nun definitiv einiges nachzuholen habe. Meine zweite Neuentdeckung des Jahres fand ich im August in Düsseldorf, als ich (es stimmt wirklich!!!) ein Konzert von Radio Havanna besuchte. Dort spielten „Männi“ als Vorband, die mit ihren beiden Alben „Mir tut alles weh“ und „Alkohol & Melancholie“ seitdem bei mir hoch und runter laufen. Männi bedeuten schnörkellosen Punkrock, der kein Blatt vor den Mund nimmt und gleichzeitig zum Feiern und Tanzen einlädt. Also genau meine Welt!

 

Konzert des Jahres: Dass besondere Zeiten auch besondere Maßnahmen erfordern war in diesem Jahr nicht nur eine Phrase. Nachdem mein Jahr mit Konzerten von Kettcar und Montreal im Januar noch ganz normal angefangen hatte, schwebte bei Thees Uhlmann in Bonn Ende Februar bereits eine leichte Verunsicherung in der Luft. Kurz danach war dann erst einmal Feierabend mit Konzerten. Im Juli startete Thees dann auf „Songs & Stories Tour“ und kreierte im Rahmen des Erlaubten und Vertretbaren etwas wirklich Wunderbares. Anstatt mit der großen Band aufzulaufen, bat Thees sein Publikum Platz zu nehmen, um ihn im Sitzen beim Singen und - sorry dafür - Labern zuzuhören. Da Reden bei Thees Uhlmann zwangsläufig zu Gelächter im Publikum führt, verbrachte ich bei tropischen Temperaturen einen sehr unterhaltsamen Tag mit meinem Redaktionskollegen Jan auf dem Gelände des Kölner Tanzbrunnens. Lieben Gruß an dieser Stelle, gerne wieder!

 

Comeback des Jahres: Dass der Name Callejon in einem meiner Jahresrückblicke in einer positiv behafteten Kategorie jemals wieder fallen wird, hätte ich selbst kaum für möglich gehalten. Jetzt ist es also passiert: Callejon haben mein Gehör zurück! Die Band haut mit „Metropolis“ - entschuldigt die Ausdrucksweise - endlich wieder auf die Kacke. Da es „Fandigo“ leider nie an mich heran schaffte und auch die Idee, deutsche Rap-Songs zu covern für mich nicht mehr als eine kurzfristige Belustigung darstellte, hat mich eine der prägendsten Bands meiner Jugend endlich wieder zurück. Hier fühlte es sich wirklich so an, als würden Callejon mir mit „Metropolis“ die Hand reichen und höflich darum bitten, den Disput der jüngeren Vergangenheit ruhen zu lassen. Angebot angenommen.

 

Gimmick des Jahres: Seien es nun Feuerzeuge, T-Shirts, Bandanas, Flaschenöffner, Tischdeckenbeschwerer oder Zubehör zum Tabakkonsum: Irgendetwas fällt den verantwortlichen Leuten da immer wieder ein, um überteuerte Box-Sets neuer Veröffentlichungen zu füllen und den Umsatz in die Höhe zu treiben. Seit ich selbst auf den Kauf von Vinyl umgestiegen bin, stapelt sich bei mir dieser größtenteils bereits doppelt im Haushalt vorhandene Schwachsinn nicht mehr bis unter die Decke. Dafür macht es mich umso glücklicher, wenn Bands mit großartiger Musik wie Go Go Gazelle auf eine Idee kommen, wie sie im Sommer umgesetzt wurde. In Anlehnung an ihr Album „Flaschenpost an Morgen“ braute die Band in Kooperation mit der Superfreunde-Brauerei, die bei mir mit ihren Craft-Bieren sowieso hoch im Kurs stehen, ihr eigenes „Flaschenpils an Morgen“. Da sich das mit Getränken in Box-Sets wahrscheinlich schwierig gestaltet, fanden einige dieser streng limitierten Flaschen zum Beispiel im Rahmen von Verlosungen neue Besitzer. Dann lieber einmal genießen und anschließend für immer weg, als sinnloses Verstauben in Schubladen und Regalen.