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Marcos Jahresrückblick 2020

Die Tabelle lügt nicht - was im Fußball seit jeher die Phrasenschweine der Stammtische füllt, hat auch eine Gültigkeit im AdW-Kosmos. Widmen wir uns also den guten Seiten des Jahres 2020, so drängen sich nachfolgend einige musikalische Ergüsse aus der oberen Tabellenhälfte auf.

Neuentdeckung des Jahres

Möglicherweise ein Kalenderjahr zu spät, aber dennoch: 100 Kilo Herz hätte ich mir gerne auf dem einen oder anderen Konzert angesehen. Mit „Stadt, Land, Flucht“ hielt die Ska-Formation Einzug in den heimischen Plattenschrank und durfte seither das eine oder andere Mal den (digitalen) Plattenteller bestücken. Politische Hymnen, tanzbare Beats und das Herz am richtigen Fleck. Ich freue mich, diese Band in Zukunft näher verfolgen zu dürfen.

Album des Jahres

Bereits ausgiebig in unserem „Plattensprung“ besprochen und doch eine weitere Erwähnung wert: Heaven Shall Burn begeben sich stets auf eine Gratwanderung zwischen künstlerischem Fortschritt und der Liebe einer teils konservativ erscheinenden Anhängerschaft. Die Welt erwartet brettharte Riffs und markerschütternde Shouts, welche zweifelsohne auch „Of Truth and Sacrifice“ aufbieten kann. Doch man traut sich wesentlich mehr zu, als reine Bedürfnisbefriedigung: Die „Rockergruppe aus dem Nichts“ hat eine tiefgreifende Evolution vollzogen und die Wunden der Menschheit mit boshafter Freude gesalzen. So muss Kritik im Jahre 2020 klingen.

Konzept des Jahres

Long Distance Calling bleiben ein popkulturelles Phänomen. Als wortkarge Begleiter beobachten sie den hiesigen Zeitgeist und schaffen es immer wieder, diesen in grandiosen Songstrukturen zu verewigen. Mit „How Do We Want To Live“ räumte man wenig überraschend die gleiche Punktewertung ab wie zwei Jahre zuvor mit „Boundless“: 8,3 auf der Richterskala. Ein unmissverständliches Ausrufezeichen. Mit dem Konzept des Jahres soll diese bemerkenswerte Leistung ein weiteres Mal gewürdigt werden.

Live-Konzert des Jahres

Ursprünglich für einen Auftritt auf dem Expo Plaza Gelände ausgelegt, verlagerten Thees Uhlmann und Freunde ihr Konzert kurzerhand auf die Ländereien eines Hannoveraner Sportvereins. Ein Freiluftkonzert mit dezent verwirrtem Publikum (Welche Regeln sind einzuhalten? Wie schaut es mit der Sitzordnung aus und wo ist überhaupt der Getränkestand?), grandioser Songauswahl und einer in unmittelbarer Nähe stattfindenden Trainingseinheit. Das Nordlicht kramte tief im kognitiven Nähkästchen und bereicherte die Hörerschaft mit allerlei Anekdoten aus dem Backstagebereich der Branche. Rundherum einzigartig.

Online-Event des Jahres

Als In Extremo im Frühjahr 2020 mit dem „Kompass zur Sonne“ ein fulminantes Ausrufezeichen setzen konnten, rechnete man noch mit einer großen Headlinertour, welche sich über den gesamten Sommer und Herbst erstrecken sollte. Pandemiebedingt mussten wir bedauerlicherweise hierauf verzichten, jedoch wurde mit der „Wacken World Wide“-Konzertreihe ein würdiger Ersatz geschaffen. Die glorreichen Sieben performten in ungewohnter Umgebung mit sichtlicher Freude und bereicherten somit einen urplötzlich so trist gewordenen Festivalsommer.

Nostalgie-Moment des Jahres

15 Jahre sind seit dem MTV Unplugged der Toten Hosen im Wiener Burgtheater ins Land gestrichen. Grund genug, dies als Anlass für ein Event der besonderen Art zu nehmen (auch wenn oder gerade weil jeder Anhänger die Aufzeichnung längst sein eigen nennen dürfte): Am 05.12.2020 streamten die Düsseldorfer das Konzert kostenfrei in voller Länge und die damalige Euphorie im altehrwürdigen Konzerthaus schwappte nach nur wenigen Akkorden gnadenlos über. Eine Zeit ohne Smartphones in den ersten Reihen und damit auch einige Jahre vor dem gesamtgesellschaftlichen Hype um die Hosen (peinliche Oktoberfestauftritte irgendjemand?).