Interview

Michael Dreilich von den Blackout Problems über "Dark": Etwas Positives bauen

“Wir müssen zusammen kreativ sein, so kann man am besten mit der Situation umgehen. Und es war gut, dass wir uns so entschieden haben.” Im Interview geht es um die Entstehung eines Albums während der Pandemie, die Themen von "Dark" und um das Erwachsenwerden.

Es fühlt sich ein klein wenig nach Uni an, wieder Zoom zu öffnen und sich in eine Konferenz einzuwählen. Nur dieses Mal macht das Ganze endlich mal Spaß und ist wesentlich stressfreier. Michael Dreilich, Schlagzeuger der Münchner Band Blackout Problems, sitzt im Proberaum und sieht müde, aber glücklich aus. “Wir haben jetzt die letzten beiden Tage eine Live-Session und 21 Songs aufgenommen, also in zwei Sets aufgeteilt und haben die halt öfters gespielt. Damit da irgendwas rüberkommt, muss man die so spielen, als wäre es eine echte Show, ohne doppelten Boden. Jetzt geht's mir körperlich dafür ein bisschen schlecht, aber seelisch sehr gut, weil das Album endlich draußen ist und so ein großer Ballast von uns abgefallen ist."

Es birgt angesichts dieses Kraftkakts eine gewisse Ironie, dass das letzte Blackout-Problems-Album 2018 mit dem fast schon prophetischen Satz “I’m not scared of the future” endete. Jetzt, durch die Pandemie und die anderen Umstände, klingt diese Aussage schon fast naiv. “Wir haben direkt nach der letzten Show der "Kaos"-Tour angefangen zu schreiben. Da war noch überhaupt nicht absehbar, was noch passieren würde. Wir hatten gerade unsere bis dato größte Show jemals gespielt. Das war im Technikum in München, und da haben wir so ein wahnsinniges High-Gefühl erlebt und mit raus genommen. Uns gings total gut und es war schön zu sehen, dass da Fortschritt da ist, dass viele Leute gekommen sind und uns das eben auch voll viel bedeutet. Deswegen war da der Satz 'I’m not scared of the future' auf alle Fälle wahr. Zumindest damals, als die Pandemie noch nicht präsent war." Michaels Blick wird ernster, bleibt jedoch euphorisch. “Vor Corona war es auch schon so, dass es uns selbst nicht immer hundertprozentig gut ging, einfach auch als Band und Personen. Es ist halt auch ein Struggle, weil wir in diesem Job so viel machen auch das eben anstrengend ist. Corona hat dann noch unsere gesamte Planungssicherheit über den Haufen geworfen. Wir waren in dieser Situation zum Teil verschiedener Meinung und mussten erst mal lernen damit umzugehen. Jetzt kann ich aber sagen, dass ich eigentlich keine Angst mehr habe. Das Album ist draußen, trotz der Tatsache, dass die Zeichen oft gegen uns standen. So pathetisch und doof das klingt: Wenn wir das geschafft haben, können wir auch noch viele weitere Dinge schaffen.”

Trotz Michaels Optimismus ist offensichtlich, dass die gesamte Musikbranche durch die Pandemie am Boden ist. Auch die Blackout Problems waren und sind davon betroffen. Rückschläge, logistische Probleme, hygienische Sicherheitsmaßnahmen - all das war und ist nun Teil der Tagesordnung. Allerdings bedeutete das auch, auf eine gewisse Weise, mehr Zeit für Kreativität. “Es hat rein logistisch vieles schwieriger gemacht, es war die immer zusätzliche Komponente dabei", reflektiert Michael. "Bei allem was wir gemacht haben mussten wir schauen, dass das Menschen-, Hygiene- und Maskentechnisch gepasst hat. Das war der zusätzliche Faktor, der eben einfach auch belastend ist und um den man sich kümmern muss. Mich haben Leute gefragt, was ich denn jetzt mache im Lockdown. Als würde unser ganzes Musikerleben nur aus live spielen bestehen. Aber die Songs, die wir spielen, müssen ja auch geschrieben, produziert und aufgenommen werden und das dauert eben seine Zeit. Wir haben dann relativ schnell bei uns im Kopf das Ganze verschoben und versucht, von dieser Live-Band in Richtung Studioband zu gehen. Wir haben so viel wie es geht selbst gemacht an der Platte. Das war für den Kopf super gut, weil wir uns eine Aufgabe zugeteilt haben und keine Pause gemacht haben. Wir müssen zusammen kreativ sein, so kann man am besten mit der Situation umgehen. Es war gut, dass wir uns so entschieden haben.”

Auch ohne äußere Widrigkeiten sind die Blackout Problems eine Band, die sich stetig entwickelt und weiterschaut. Immerhin ist das Quartett auf "Dark" eher weg von den Saiten und ran an die Tasten gegangen. Wo die beiden Alben “Holy” und “Kaos” sehr gitarrenlastig waren und mehr das klassische Rock-Drumkit bedienten, bietet die neue Platte nun mehr Synthesizer und E-Drums. “Uns als Band ist es wichtig, ist dass die Musik ehrlich, roh und menschlich ist", beschreibt Michael seine Ansprüche an den Sound. "Das liegt allen Songs gleich zugrunde, ob von 'Holy', 'Kaos' oder 'Dark'. Der 'Murderer'-Beat zum Beispiel, ist auf einem komplett akustischen Schlagzeug entstanden. Wir haben aber an den Kesseln der Drums Trigger angebracht, also kleine Kästchen, die ein Audiosignal in eine elektronische Information umwandeln. Bei einem Schlag auf die Snare kommt im Computer ein Snaredrum-Sound an. Das heißt es ist das was ich spiele, aber einfach in einer digitalen Welt und eben nicht von einem Computer eingebaut. Dann haben wir den von mir gespielten Signalen, die menschlich und zum Teil schief sind, elektronische Sounds zugewiesen, durch Effekte gejagt und da kommt der Sound her. Alle Songs auf 'Dark' sind Bandsongs. Sie klingen im ersten Moment aber nicht so, weil es nicht diese typische Rock-Schlagzeug, zwei Gitarren und eine Bass-Besetzung gibt. Es klingt natürlich anders, aber alles ist von Menschen gespielt."

Beachtet man die musikalische Historie der Band, sind die elektronischen Einflüsse noch nicht einmal ein völliges Novum. Sie scheinen auf der "Gods"-EP zum Beispiel im Song “Space” durch, sie klingen in der Kollaboration mit Christian Löffler zu “Haul” an. Auch der Track “Sorry” kann als Indiz verstanden werden, dass den "Dark"-Sound zumindest nicht ausschloss, sondern eher einen solche Klanglichkeit in der Zukunft suggerierte. "Man braucht eine gewisse Zeit, um in Themenfelder einzutauchen. Ich habe auch gar keinen Plan von Synthesizern", gesteht Michael ein. "Bei elektronischer Musik geht es auch viel um Geschmack, weil man so viele Stellschrauben hat, an denen man drehen kann. Im ersten Moment ist das sehr überfordernd. Wenn man unsere Musik schon lange hört, kommt das Soundbild von "Dark" jetzt nicht unbedingt als Überraschung. Für uns war es ein Schritt, aber nichts davon hat sich unnatürlich angefühlt."

Gleichzeitig muss man anerkennen, dass die übergreifende Entwicklung der Blackout Problems abseits dieser Vorzeichen schon eine große Kurve hingelegt hat. Die Songs “For The Road” oder “Home” aus dem Jahr 2014 klingen mit ihrem reduzierten, akustischen Pop-Gewand  ganz anders als mächtige Produktions-Monster wie “Driveby” oder “Murderer”. “Ich würde es tatsächlich sehr offen lassen, ob wir nochmal in so eine Richtung gehen, das kann immer passieren", meint Michael im Hinbllick auf die Ursprünge seiner Band. "Ich kann mir vorstellen, dass wir nach einem Album wie 'Dark', wo wir sehr viele Songs mit vielen Spuren geschrieben haben, wieder mit Limitation kürzen, was die Instrumente, was die Spuren angeht. Die nächste Platte wird dann vielleicht ein Turbostaat-Punk-Album."

Neben den musikalischen Entwicklungen fällt aber vor allem auf, dass "Dark" wieder mehr gesamtgesellschaftliche Fragen in den Raum wirft. War "Kaos" noch eher von persönlicher Problemerfahrung- und Verarbeitung geprägt, ist "Murderer" vom Mord an Walter Lübcke inspiriert, "Houseonfire" scheint deutlich von den jüngsten Protesten der Klimabewegung geprägt. In "Lady Earth" findet sich sogar ein "Keep It In The Ground"-Protestchor, den man oft auf ebenjenen Demonstrationen hört. “Obwohl 'Dark auch Songs über persönliche Probleme enthält, überwiegen, auch in der Singleauswahl, die gesellschaftliche Kritik und die gerade aktuellen Themen. Je länger wir das hier machen, desto mehr reden wir über solche Sachen bei uns intern und desto wichtiger wird es für uns, da eine ganz klare Meinung zu haben - als Band, aber auch als Privatperson. Je älter man wird, desto schwieriger ist es gegen Sachen wie Rassismus oder die Klimakrise immun zu sein. Wenn man da komplett meinungslos ist, ist das für mich auch eine Meinung."

Um die Hintergründe und Entstehungsprozesse ihrer Songs zu erläutern, haben die Blackout Problems dieses Mal sogar eine ganze Dokureihe inszeniert. In “Dark Days” erfährt man viel über die Entwicklungen im Studio - aber eben auch, wie die Band auf "Fridays For Future"-Demos Inspirationen für neue Songs fand. "Am Anfang war die Grundidee, eine begleitende Doku zur Platte zu drehen", erinnert sich Michael. "Dann hat sich der Gedanke gewandelt und immer größere Züge angenommen. Wir wollten uns da ein wenig rausnehmen und die Leute fragen, die in diesen Themengebieten auch tätig sind, weil die das besser wiedergeben können, was gerade passiert. Deswegen war das Color Magazine zu Gast, und Fridays- und Scientists For Future waren da, weil wir denen die Plattform geben wollten. 'Dark Days' ist viel breiter aufgestellt als eine bloße Band-Doku. Ich habe das Gefühl, dass mittlerweile jede*r dahinter gestiegen ist, wie Platten aufgenommen werden. Eine normale Doku war uns da einfach nicht interessant genug."

Neben Klimakrise und Rassismus bewegen die Band auf 'Dark' aber auch Entwicklungen, die die vor allem die deutsche Gesellschaft betreffen - am besten wohl repräsentiert im Song "Germany, Germany", der seinen räumlichen Fokus schon im Titel trägt. "Was fühlt man, wenn man eine Deutschlandfahne sieht?”, fragt Michael rhetorisch. “Das ist ein teilweise sehr bedrückendes Gefühl, trotz dem Wissen, dass man nichts für die Vergangenheit kann. Wir sind die Generation, die aus erster oder zweiter Hand erfahren hat, was da passiert ist und wir sehen jetzt wieder Anzeichen dafür. Es gibt Ereignisse wie Rostock-Lichtenhagen, Walter Lübcke oder politische Parteien, die in dieselbe Richtung weisen. Wir haben keine normale Vergangenheit - die hat kein Land. Aber wir müssen mit unserer irgendwie umgehen und haben es damit auch nicht leicht. Wir dürfen nicht vergessen, was da passiert ist und Anzeichen der neuen Rechten nicht tolerieren, müssen aber zeitgleich versuchen, da etwas Positives hin zu bauen. Das ist keine leichte Aufgabe."

Wer sich solche Gedanken macht, ist zweifellos erwachsen geworden - eine Entwicklung, die sich auf in der Diskographie der Blackout Problems abzeichnet. “'Gods' ist das ganz Jugendliche, bei dem man noch nicht weiß, wohin", reflektiert Michael die Chronik seiner Band. 'Holy' ist das langsame Erwachsenwerden und das Finden von dem, was wir machen wollten. 'Kaos' ist eine chaotische Zeit, in der viel passiert und in der man viele neue Eindrücke gewinnt. 'Dark' kann man dann auch wörtlich sehen. Wir wollten die Tiefen des persönlichen Lebens ansprechen und zeitgleich dem Ganzen mit einer positiven Wut entgegenwirken. Die Konsequenz aus dem, was das nächste Album ist und wie es wird, finden wir gerade heraus.”