Wirklich glücklich wirkt Mario Radetzky am heutigen Tag nicht – dabei hätte er eigentlich allen Grund dazu. Es ist ein sonniger Freitag im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Gerade hat Radetzky mit seiner Band einen Promo-Gig in einem kleinen Plattenladen gespielt. Die rund 50 anwesenden Fans freuen sich über die nach wie vor ungebrochene Energie der Blackout Problems, die dieses Konzert aus einem ganz besonderen Anlass spielen: Es ist der Release-Tag ihres zweiten Albums „Kaos“. Nach monatelanger Promo-Arbeit, einem erschöpfenden Schaffungsprozess und unzähligen Konzerten im ganzen Land sind die Münchener endlich an diesem befreienden Punkt angekommen. Und trotzdem wirkt Radetzky außerhalb seines Auftritts so, als wäre er gerade lieber irgendwo anders.
Was ihm an diesem Tag durch den Kopf geht, kann man als Außenstehender wohl nur vermuten. Doch wenn man die Bürde betrachtet, die auf „Kaos“ liegt, dann kann man kaum anders, als Radetzky Verständnis zu schenken. Die zweite Platte der Blackout Problems spricht tief aus seinem Innersten, erzählt von Trennung, Verlust und Ängsten, aber auch dem Mut zum Weitermachen. Das ist aus zweierlei Gründen besonders bemerkenswert. Zum einen, weil die Blackout Problems bisher vor allem als politische Band in Erscheinung getreten waren und selten einen so tiefen Gefühlseinblick in ihre Musik zuließen. Zum anderen aber auch, weil die Zeilen auf „Kaos“ viel schonungsloser und echter wirken als auf den Werken anderer Künstler, die sich mit einem solchen Thema auseinandergesetzt haben. Gerade dann, wenn Radetzky lebensnah beschreibt. Im Song „Holly“ heißt es da zum Beispiel: „Since you moved all my stuff to the guest room, I’m not prepared for a winter without you.“
Dieser Prozess mag etwas suspekt erscheinen, wenn man ihn innerhalb der zeitgenössischen Musiklandschaft kontextualisiert, die momentan eher den umgekehrten Weg geht und seit Trump-Präsidentschaft und AfD-Aufstieg immer politischer wird. Für Radetzky stellt sich aber gar keine andere Möglichkeit: „Das war ein ganz natürlicher Prozess. Meine persönlichen Umstände haben dieses Album bedingt. Wenn bei mir alles perfekt gelaufen wäre, dann wäre unsere zweite Platte eine andere geworden.“ Und trotzdem: Dass „Kaos“ so viel von persönlichen Gefühlen spricht, bedeutet nicht, dass Radetzky die Entwicklung des politischen Weltgeschehens gar nicht mehr wahrnimmt: „Bei einer Trennung denkt man sofort an das Ende einer Beziehung. Dabei ist das Wort vielschichtiger, man kann sich von allem möglichen trennen. Ich habe mich zum Beispiel eine Zeit lang von meinem Wohnort verabschiedet. Und man kann sich auch von jugendlichem Idealismus trennen. Gerade ist so ein komisches Gefühl in der Luft, man weiß nicht, wie die Welt in fünf Jahren aussehen wird. Ich hätte es als Kind nie für möglich gehalten, dass es mal einen dritten Weltkrieg geben könnte. Mittlerweile denke ich anders darüber. Wir leben im 21. Jahrhundert, man sollte meinen, die Menschen wären klug genug, um zu verstehen, dass Krieg eine Einbahnstraße ist. Trotzdem schaffen es immer wieder Personen an die Macht, die angeblich eine Lösung oder eine ‚Alternative‘ parat haben. Diese Gefühle haben mich in den letzten Jahren auch geprägt, und sie sind deswegen auch auf ‚Kaos‘ zu finden. Sie sind aber verschleierter verpackt als früher.“