„Plastic“ wirkt gerade aufgrund dieser pragmatischen Konstruktion fast schon wie ein Fremdkörper, der für das Album dabei aber auch ebenjenes verzerrte Gesuch nach Öffentlichkeitswahrnehmung repräsentiert, das Aydo Abay selbst kritisiert – und deswegen mittlerweile etwas bereut. „Wir haben bei diesem Album sehr schubladig gedacht. Als wir schon alle Songs fertig hatten, fiel uns auf, dass wir auf der ganzen Platte überhaupt keine Pop-Single hatten. Also haben wir eine geschrieben, nach allen Vorgaben, die es da so gibt. Und jetzt spielen sie den Song noch nicht einmal (lacht). In Zukunft werden wir deswegen auf so etwas wohl nie wieder achten.“ So würde „Plastic“ als Song beinahe wie ein ironisches Statement wirken, wenn er nicht tatsächlich derart kalkuliert entstanden wäre. Gerade deswegen untermauert der Track Abays Aussage aber umso fester, denn er lässt einen kurzen Moment der Schwäche durchschimmern, in dem die Band den abgeschworenen Dämonen doch kurz nachgeben muss.
„Plastic“ wirkt aber erst deswegen in derartiger Deutlichkeit, weil Abay sich sonst nicht mit schematischen Kompositionen zufriedengeben, sondern auf „Love And Distortion“ mehr Experimente denn je wagen. Ihr ursprünglich erklärtes Klangumfeld „Post-Pop“ sieht Aydo Abay mittlerweile trotzdem kritisch: „Ich weiß selbst gar nicht, was ‚Post-Pop‘ eigentlich sein soll. Ich dachte immer, es sei die Erweiterung von Pop mit der Sphäre von Post-Rock-Elementen, aber irgendwie haben wir uns da gegen eine Wand gefahren.“ Trotzdem ist diese Definition auf Abays Zweitwerk nicht von der Hand zu weisen. Immer wieder fällt das Quartett in breit angelegte Sound-Landschaften, die den unweigerlich vorhandenen Pop-Appeal der Songs in dichten Nebelschwaden verschwimmen lassen und so auch klanglich die Konturen einer Welt zwischen „Love And Distortion“ zeichnen.
Abays zweite Platte wagt noch mehr als ihr Vorgänger „Everything Is Amazing And Nobody Is Happy“, die Band fügt sich auf ihr langsam immer klarer zusammen. Auch für Aydo Abay selbst scheint die Mission daher langsam deutlicher definiert: „Wir haben uns bei diesem Album an allen Ecken mal probiert, es sind alle Musikrichtungen darauf vertreten, die uns irgendwie nahestehen. Ich glaube, dadurch haben wir uns jetzt auch gefunden. Vielleicht führt das dazu, dass die nächste Platte etwas homogener wird, aber genau kann ich das jetzt eigentlich noch nicht sagen.“ Und da schlägt Abays Werk schlussendlich doch wieder den Bogen zu seiner Kernaussage. Es ist ein Statement gegen Schema F und gegen gesichtslose Fabrikerzeugnisse, die selbst in der Kunst immer häufiger an der Tagesordnung stehen. „Love And Distortion“ erfüllt seinen pädagogischen Auftrag deshalb mit dem Prädikat „besonders wertvoll“. Und dürfte auch für die Band selbst ein lehrreiches Kapitel gewesen sein.