Interview

10 Fragen an die Texte von Cadet Carter

Wir reden viel über Musik und vergessen dabei oft, dass im Text eines Songs mindestens genau so viel Interessantes steckt wie in den wunderschönsten Gitarrenmelodien. Wir haben deswegen mit Nick Sauter von Cadet Carter ein Interview geführt, in dem es nur um die Texte des neuen Albums "Perceptions" geht.
Nick Cadet Carter

Im Opener und Titelsong von „Perceptions“ zitierst du den Titel der ersten Album-Single „A Bad Few Weeks“. Ist diese für dich das lyrische Zentrum der Platte?

Im Grunde schon, ja. Genau genommen zitiere ich hier sogar aus mehreren Songs. Wenn man so will, ist "Perceptions" eine Collage aus dem, was den Hörer auf dem Album erwartet. Das über allem stehende Thema ist aber schon: Wie gehe ich mit schlechten Phasen in meinem Leben um? Wie finde ich einen Weg zurück? Wie komme ich aus dem Loch, das ich mir selbst gegraben habe, wieder heraus?

In „A Bad Few Weeks“ hast du kurz die Form der direkten Ansprache gewählt, anstatt wie im restlichen Song aus der Ich-Perspektive zu erzählen („So keep it up, keep it going, don’t you give in“). Sprichst du da zu dir selbst oder ist es dir hier ein Anliegen, andere Menschen zu erreichen, die sich ähnlich fühlen wie du?

Beim Schreiben hat es sich tatsächlich eher angefühlt wie ein Aufruf an mich selbst. Aber als der Song dann fertig war, wurde mir bewusst, dass das auch als Aufruf an den Hörer verstanden werden kann, so nach dem Motto: Gib nicht auf, du kommst da durch! Beabsichtigt war es aber eigentlich nicht, eher ein Happy Accident!

In „On The Edge“ singst du: „I’m a driver, not a passenger“. In dieser Zeile steckt für mich das Lebensgefühl, sich immer wieder aus der eigenen Misere zu kämpfen. Gleichzeitig zeugen die Texte auf „Perceptions“ für mich auch von Erlebnissen, in denen du deinen Dämonen erlegen bist. Bist du in deinem Leben erst später zu einem „Fahrer“ geworden?

Ich hätte mich eigentlich selbst immer eher als Fahrer denn als Mitfahrer bezeichnet. Aber ja, es stimmt schon: Es gab auch Momente, in denen ich nicht in der Lage war, das Steuer zu übernehmen, sondern mich auf den Rücksitz legen und hoffen musste, dass die Fahrt nun trotzdem weiter in die richtige Richtung geht, auch wenn ich darüber keine Kontrolle habe. Ich mag Kontrolle, ich mag Sicherheit. Einer dieser Dämonen, von denen du sprichst, ist es da sicherlich, dass es mir oft schwerfällt, loszulassen und etwas in andere Hände zu geben. Ich schwanke also zwischen dem „Fahrer“ und dem „Mitfahrenden“ – wie wahrscheinlich die meisten Menschen.


In „We Haven’t Met“ gibt es die Zeile „Rainy forests always lead to misty glades“. Sind diese „nebligen Lichtungen“ für dich ein Ausdruck der Hoffnung, wie die Zeilen davor suggerieren? Warum ist es gerade dieses Bild, das dir bei dieser Zeile in den Sinn kam?

Ganz genau. Egal, wie dunkel der Wald ist, in dem du dich befindest. Wenn du nicht stehen bleibst, sondern immer weiter läufst, wirst du irgendwann an eine Lichtung kommen, an der du dich sortieren kannst und einen Weg aus der Misere finden kannst. Davon bin ich tief überzeugt. Das Wichtigste ist, nicht in der Dunkelheit stehen zu bleiben.

Sprachliche Bilder mit Naturbeschreibungen treten nicht nur in „We Haven’t Met“, sondern etwa auch in „Dead Hands“ auf. Dort beziehst du dich lyrisch auf einen eisigen See. Auch in „End/Begin“ singst du metaphorisch über Donner und Wind. Sind derartige Naturschauspiele etwas, was oft mit dir beim Schreiben resoniert?

Tatsächlich ist das eine Entwicklung, die mir auch aufgefallen ist – man ist als Songwriter oft ja nicht immer sehr gut in der Selbstanalyse. Aber diese Natur-Vergleiche sind tatsächlich neu auf "Perceptions". Ich kann mich nicht erinnern, das vorher in diesem Ausmaß schon gemacht zu haben. Auf der anderen Seite habe ich in den letzten Jahren auch ein anderes Verhältnis zu Natur bekommen. Man könnte es „spirituell“ nennen – ich gehe einfach mit anderen Augen durchs Leben.

In einigen Songs scheinst du direkt zu einer Person zu sprechen – zum Beispiel in „Speed Of Sound“ oder in „Telescope“. Hast du bei jedem dieser Songs eine bestimmte Person im Kopf?

Nein, eigentlich sind es ganz oft Phantome. Das können Personen aus der Vergangenheit sein, alte Freunde, Verstorbene, oder auch die eigenen Dämonen.


In „On The Edge“ stellst du die Frage: „What would you say if there was a song to kill all your fears away?“ Gibt es in schwierigen Phasen für dich einen solchen Song, der dir über die Runden hilft?

Da gibt es sogar mehrere. Aber ein Song, auf den ich immer wieder zurückkomme, ist „The Boys Of Summer“ von Don Henley. Musikalisch wäre ich bei der Version von The Ataris eigentlich mehr „Zuhause“, aber die Intensität, mit der Don Henley vom Verlassen der einen Lebensphase und dem Eintreten in eine neue singt, fasziniert mich jedes Mal aufs Neue.


In „A Bad Few Weeks“ singst du, dass sich jeder Tag für dich wie ein „Ressurection stone“ anfühlt. Das fand ich interessant, denn zur Übersetzung dieses Begriffs finden sich im Netz zwei völlig verschiedene Möglichkeiten: Einerseits kann es sich dabei um den durch Harry Potter berühmt gewordenen Auferstehungsstein handeln, mit dem man Menschen wiederbeleben kann. Zum anderen wurden damit früher aber auch enorm schwere Grabsteine bezeichnet, die verhindern sollten, das frisch begrabene Körper gestohlen werden. Handelt diese Zeile für dich also von Neubeginn und Auferstehung oder sogar im Gegenteil von einer enormen Last?

Das hast du sehr gut erkannt. Ich denke, beide Definitionen treffen hier zu. Zum Einen hatte ich sicher einen „Phönix aus der Asche“-Moment im Sinn, als ich den Song geschrieben habe. Aber auch der Gedanke, dass man Vergangenes begraben kann und auch begraben sollte, ist sehr schön. Der Mensch muss ein Recht auf Vergessen haben, um nicht irgendwann zu versinken. Es ist wichtig, Dinge abzuschließen und hinter sich zu lassen.

Die Texte auf „Perceptions“ schwanken oft zwischen Depression und Kampfeswillen. Wenn du auf die Platte zurückblickst, empfindest du mit ihr eher neuen Mut oder einen Blick zurück in düstere Zeiten?

Das Album ist für mich der Musik gewordene Kampf, der im Inneren vieler Leute tobt. Am Ende gewinnt für mich das Licht, die Hoffnung, und der Mut, die Zukunft anzunehmen. Dazu gehört aber auch der Blick zurück in düstere Zeiten. Die Kunst ist es, dieses Zurückblicken in einem gesunden Maß zu betreiben.

Ihr habt dem Album den Titel „Perceptions“ gegeben. Auch dieses Wort lässt sich mehrdeutig ins Deutsche übersetzen. Einerseits werden damit schlicht Wahrnehmungen beschrieben, anderseits auch etwas spezifischer eine Einsicht. Ganz generell wirken deine Texte auf der Platte enorm reflektiert. Würdest du dich grundsätzlich als Mensch mit gutem Blick auf dein Inneres bezeichnen oder ist „Perceptions“ wirklich erst eine Einsicht, die du eigentlich schon viel früher hättest haben sollen?

Ich denke schon, dass ich mich selbst mittlerweile ganz gut kenne und analysieren kann. Allerdings gibt es auch nach wie vor viele Facetten, von denen ich keine Ahnung habe. Hinzu kommt, dass die eigene Wahrnehmung oft überhaupt nicht mit dem übereinstimmt, wie man von Anderen wahrgenommen wird. Der Albumtitel hat sich da also angeboten: Zum einen komme ich zu vielen Einsichten über mich selbst, zum anderen ist es aber auch die Erkenntnis, dass jeder Mensch ein komplexer Charakter ist, mit viel Weiß und auch viel Schwarz, und ganz besonders vielen Grautönen, die man nicht immer ergründen kann.