Interview

Adam Angst: „Es sind noch lange nicht alle Menschen verloren.“

Über die Kunstfigur Adam Angst wurde seit ihrem Debüt viel geredet und geschrieben. Zeit, anlässlich ihres neuen Albums „Neintology“ mit Sänger Felix und Gitarrist Roman über die wirklich wichtigen Dinge zu reden: Antifaschistische Blasen, Punk-Polizisten und Fler-Interviews.
Adam Angst

Hört man eine der beiden Platten „Adam Angst“ oder „Neintology“ und schaltet dabei sein Hirn ein, so wird man recht schnell die beißende Ironie und damit auch die wahre Ambition entlarven, die sich hinter der Dauerironisierung der Punk-Grenzgänger verbirgt: Felix Schönfuss und seine Mitstreiter haben keinen Bock mehr auf Rechtsruck, Deutschtümelei und technologische Abhängigkeit. So weit, so gut. Anders als andere Bands ihres Schlags erheben sie jedoch nie den moralischen Zeigefinger und brüllen Parolen, sondern nähern sich Sachverhalten distanziert durch ein gesundes Maß an Sarkasmus. Dass das in linksintellektuellen Kreisen gut ankommt, ist klar – aber was bewegt es denn wirklich, wie viele Andersdenkende erreicht man mit antifaschistischer Musik?

Felix: Wir glauben, dass wir viele junge Menschen erreichen. Wir haben den Vorteil, dass wir uns eben nicht nur in linken und antifaschistischen Räumen bewegen. Wenn man sich als Band nur dort bewegt, passiert außerhalb der Blase nicht viel. Und wir merken es auch, dass auf unseren Konzerten nicht nur die typischen Linken da sind, sondern auch viele, denen einfach die Musik gefällt. Auf einem Festival hat mich ein Typ im Onkelz-Shirt getroffen und meinte, er fände die geil. Mit dem hatte ich ein längeres Gespräch darüber und ich hab ihm erklärt, warum wir die kacke finden, und das kann man auch ganz normal machen. Ob ich ihn jetzt bekehrt habe oder nicht, sei mal dahingestellt – aber ich bin einfach der Meinung, wenn wir alle gar nichts sagen würden, hätten wir noch ein viel größeres Problem. Wir sind natürlich immer ironisch und die Frage ist dann immer, wie viele Leute das erreicht und wie sehr sie es verstehen. Das kann ich nicht beeinflussen, weil ich kann mich dafür nicht ändern. Wenn ich einen Text schreibe, dann ist der halt so und das ist meine Sprache. Es ist auch nicht meine Aufgabe, all das zu tun – ich bin kein Politiker, ich muss nicht die Aussagen genauso machen, dass das möglichst viele Leute erreicht. Dafür will ich auch ich bleiben. Aber ich glaube, wir erreichen damit schon junge Leute. Es sind noch lange nicht alle Menschen verloren. Es ist uns vor allem wichtig, Denkanstöße zu liefern und zu sagen, warum wir gewisse Dinge scheiße finden.  Sehr viel mehr kann Musik dann auch nicht erreichen. Wenn wir nur Parolen dreschen würden, würde es auch nur diese Leute erreichen – die Bock auf Parolen und Pogo haben.

 

Davon gibt es in der klassischen Punk-Blase schließlich genug. Für ihre nicht immer genre-konforme Spielweise eckt das Quintett seit ihrer Gründung 2014 auch musikalisch immer mehr an, und schnell wurde neben Anhängern und Fans auch die Punk-Polizei auf die Gruppe aufmerksam: zu vielschichtig, durchdacht, zu kommerziell war manchen dieser neue Sound. Eine Antwort darauf liefern Adam Angst selbst auf dem Song „Punk“, der selbstironisch wie eh und je klischeehafte Reaktionen auf ihre Musik verarbeitet. Aber wie verbohrt und mitunter nostalgisch ist Punk anno 2018 wirklich geworden, wenn man sogar starke Stimmen gegen rechts, wie die Toten Hosen, als Mainstream beschimpft?

Roman: Ich glaube, dass 2018 Punk noch sehr wichtig ist, solange man, wie wir, nicht sagt, dass Punkrock nur aus Sex Pistols besteht. Die Blackout Problems haben ja auch ihre Punk-Elemente in ihren Songs, wo dann vielleicht auch die Punk-Polizei kommt und sagt: ‚Das ist aber kein richtiger Punkrock, was die machen.‘ Das sind dann eben die alten, verbohrten Typen, die sich gegen neue Sachen in der Musik verschließen – was wir auf gar keinen Fall machen wollen! Niemand von uns würde sich aber auch gegen die Punkszene aussprechen – im Gegenteil, ich bin sehr froh, dass es Punkrock gibt, das hat mich geformt und zu dem gemacht, was ich heute bin. Mit Punk bin ich überhaupt erst an Musik drangekommen.

Felix: Man müsste halt Punk definieren, das ist völlig individuell und da liegt das Problem. Für die einen ist Punk Iro und Nietenjacke zu tragen, für die anderen nur eine Musikrichtung, für die anderen, dass man auf alles scheißt, was Gesellschaft und Staat bedeutet, für die anderen, dass man einmal im Jahr ein Kaugummi aus dem Kiosk mitgehen lässt. Wir wollen aber auch in keine Punk-Schublade gesteckt werden und arbeiten mit jedem Album daraufhin, nicht mehr als Punk-Band wahrgenommen zu werden. Ich kann die Schublade aber verstehen, weil es irgendwie immer noch kritische Musik ist: Es ist sehr links, antirassistisch und teilweise hart und schnell. Ich erkläre meinen Arbeitskollegen oder meiner Oma auch, dass das so in Richtung Punkrock geht. Die Leute, die aber immer noch über die Hosen ablästern, nerven mich auch. Das sind alles gute Leute und Campino war der Einzige, der beim Echo irgendwas gesagt hat. Das dann als Heuchlerei und CDU-Merkel-Rock darzustellen… Können wir nicht alle, die einigermaßen links eingestellt sind, ähnlich wie die Rechten, mal den gemeinsamen Nenner finden? Dieses Bashing und diese Klugscheißerei in der eigenen Szene, alles veralbern und in Memes packen, um den schlausten Witz zu bringen – man merkt halt gar nicht, dass jedes Wort da draußen gegen Rechts ganz wichtig ist und ich werde einen Teufel tun, das irgendwie zu verurteilen oder mich drüber lustig zu machen. Kurz nach dem Echo kam die Anfrage, ob wir mit den Hosen spielen wollen. Wir haben sofort gesagt: Ja, auf jeden Fall. Wir sind keine krassen Fans, aber es ist einfach ein Zugeständnis, zu sagen: Das können nur geile Leute sein.

Genre-Polizisten sind wohl nur im HipHop, einer eigentlich „moderneren“ Bewegung, noch militanter – und tatsächlich entpuppen sich Felix und Roman auch als aktive Verfolger kontemporärer HipHop-Kultur. Die erste Vorabsingle ihres Albums, „Alexa“ und das dazugehörige Video, erinnern in ihrer apokalyptischen Stimmung und auch musikalisch an den Titelsong des Casper-Albums „Lang lebe der Tod“. Auch der Indie-Rapper übertrat gerne Genre-Grenzen und bekam oft nicht nur Beifall dafür. Eine zufällige Überschneidung?

Felix: Die Videos haben wirklich einen ähnlichen Style, eine ähnliche Stimmung. Auch die harten Abschläge am Anfang und dann das Elektro-Sample erinnern zu einem gewissen Teil wirklich daran. Wir haben uns aber nicht daran orientiert. Casper muss natürlich auch eine Menge einstecken. Aber er hat sich so langsam davon frei gemacht, glaube ich. Er hat jetzt schon viel eingesteckt, wahrscheinlich auch, weil das Album jetzt nicht so krass durch die Decke gegangen ist wie alle anderen Alben. Das muss man auch erstmal so erfahren, um wieder runter zu kommen, auf die kritischen Stimmen zu scheißen und sich wieder mehr auf die Musik zu konzentrieren.

Roman: Da ist man dann auch wieder an dem Punkt: ‚Der ist kein HipHopper, weil…‘. Weil der enge Hosen anhat, und im HipHop trägt man breite Baggypants und lange Shirts oder was? Definier erstmal, was ein HipHopper ist, und erklär mir, wieso du derjenige bist, der erklären darf, was ein HipHopper ist. Und warum das, was er macht, kein HipHop ist – wegen seines Aussehens, wegen seiner Klamotten? Was für ein Bullshit!

Felix: Ich guck trotzdem gerne Fler-Interviews. (lacht) Er ist seit dem epischen Interview natürlich ein bisschen altersmilde geworden. Aber im letzten hat er auch wieder ordentlich abgekotzt, es ging da eher um die Industrie. Ich denke, er ist etwas müde geworden, alle Rapper, die für ihn nicht HipHop präsentieren, also ‚fake Leute‘ sind, aufzuzählen. Irgendwie mag ich den aber auch. Ich komm aber eben auch nicht aus dem HipHop, verstehe das zwar schon, aber ich seh das halt nicht so eng.

Roman: Das ist ja auch das, was Eminem gerade mit seinem neuen Album gemacht hat, dass er komplett einmal gegen diese ganze HipHop-Szene und gerade die neuen Künstler basht, aber alles irgendwie mit Begründung. Es hat halt alles Sinn und Verstand. Auf jeden Fall authentischer, als zu sagen ‚Du bist kein HipHopper, weil…‘ oder ‚Du bist kein Punker, weil du dich so kleidest oder eben nicht so kleidest‘.

 

Die beiden zumindest nationalen Rap-Urgesteine Eminem und Fler haben in der Vergangenheit aber auch fragwürdige Aktionen gebracht, gegen die sich Adam Angst sonst aktiv aussprechen: Fler sprach sich statt für ein #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz für eines zu Gunsten der Opfer der Messerattacke in Chemnitz aus, was vollständig am eigentlichen Problem vorbeizielte, und Eminem beschimpfte seinen Rap-Kollegen Tyler, The Creator aufgrund zahlreicher Verweise auf dessen Homosexualität als „Faggot“.

Felix: Nee, das ist natürlich nicht geil. Klar, viele haben sicherlich ein Problem mit ihrem Wortschatz. Wie sie am Ende fühlen, ist dann eine andere Sache. Diese Diskussion kann man ja bis Kollegah und Farid Bang weiterführen: Wie ernst ist sowas gemeint? Darf man sowas? Ich sage da: Nein, ich würde es nicht machen. Wir sind da alle für mitverantwortlich, dass sowas langsam aus den Wortschätzen entfernt wird. Ich finde so eine Aussage von Fler dann eben auch kacke. Ich glaube, er denkt dabei dann aber auch nicht so nach. Aber hey, wer bin ich, dass ich Fler jetzt bewerten kann – dafür kenne ich ihn zu wenig. Ich habe ein paar Interviews gesehen, und die waren sehr unterhaltsam, aber ich gucke mir mit Sicherheit nicht alles an und ich kenne auch nicht seine Tweets. Deshalb kann ich mir kein abschließendes Urteil über diesen Menschen bilden. Was ich so mitgekriegt habe, fand ich es zumindest unterhaltsam. Was da Business angeht, hat er bestimmt recht, davon hat er ja Ahnung. Aber diese ganze Kritik um ‚was ist HipHop und was nicht‘ erinnert mich doch schon ganz stark an uns.

Mit Punk Geld zu verdienen, ist schließlich auch so schon schwer genug – weshalb jedes Bandmitglied bei Adam Angst noch einem normalen Day-Job nachgeht. Spießbürgerlich, würde die Punk-Polizei nun rufen, aber so bewahren sich die Musiker ihre künstlerische Integrität: Sie sind nicht auf Verkäufe und Klicks angewiesen wie manch anderen Künstler, sondern können sich unabhängig vom Erfolg ihrer Platten daran orientieren, was sich für sie gut anfühlt. Aber wie weit geht diese Unabhängigkeit vom trendigen Sound wirklich?

Roman: Du spielst sonntags noch ein Festival, fährst dann 600 Kilometer nach Hause, legst dich ins Bett pennen, bist total fertig, gehst am nächsten Morgen wieder arbeiten und willst dann abends einen Song schreiben, in den paar Stunden, die du dann für dich hast? Das ist schwer. Und wenn du eine Woche hast, zuhause sitzen und Kaffee trinken kannst und wenn du keinen Einfall hast gehst du halt nach draußen spazieren oder was Schönes essen. Ich glaube, dass man dann einfach mehr Zeit hat, um Sachen auf sich wirken zu lassen, aber man davon natürlich auch abhängig ist. Es hat alles sein Gutes und sein Schlechtes. So bist du gezwungen, in der wenigen Freizeit, die du eben hast, was zu schaffen. Sonst bist du davon abhängig, dass es dann auch Erfolg hat. Und so können wir sagen, wir machen das alles immer noch für uns. Dann findet es halt Anklang oder eben nicht.

Felix: Ich habe schon Angst davor, dass es negativen Einfluss auf die Musik hätte, wenn wir uns nach Trends richten müssten. Ich glaube auch, dass es so ist. Das ist halt nicht gerade einfach – ich brauche natürlich mein anderes Leben, weil dadurch kriegt man auch eine gewisse Sicht auf die Dinge. Wenn ich meine Arbeit und mein Privatleben nicht hätte, hätte ich auch nicht mehr die Sicht auf die Dinge, um Texte zu schreiben, glaube ich. Weil dann mache ich auch nichts anderes mehr als die Musik, und mein Leben besteht aus touren und saufen und keine Ahnung was noch. Das würde mir halt nicht gefallen. Außerdem: Wenn du Musik machst, weil sie gemacht werden muss, kommt dabei auch Scheiße raus. Und du musst halt Sachen machen wie einen Instagram-Takeover beim Deichbrand Festival oder Ford Focus Rock Invasion irgendwas. Da hab ich keinen Bock drauf.

Roman: Hat keiner von uns.

Felix: Ich würde niemals etwas machen, was mir so richtig zuwider ist – dafür ist mir die Musik zu wichtig. Gezwungen sein, irgendwelche Werbeaktionen zu machen, weil Geld reinkommen muss – bäh. Ätzend.

Roman: Wir haben uns mit der neuen Platte sehr viel Zeit gelassen, was wir uns eben erlauben konnten, weil wir unser Geld auch so für unser privates Leben verdienen. Andere haben da krasse Deadlines, denen gesagt wird: Du bist damit zwar nicht zufrieden, aber wir müssen die Platte jetzt rausbringen, um dich zu vermarkten und zu verkaufen. Gib uns jetzt das, was du hast, und sei glücklich damit oder nicht. Casper hat seine Platte ja auch geschoben, aber diese Größe musst du auch erstmal erreichen, sowas machen zu können. Wenn das Label dann sagt, dass das rauskommen muss und du performst dann auf der Bühne etwas, mit dem du gar nicht happy bist, stellt sich irgendwann auch die Frage, wie zufrieden du mit dem Ganzen am Ende des Tages bist. Da gehen bestimmt auch genug Künstler dran kaputt.

Felix: Vielleicht bin auch zu alt für Instagram, aber ich finde das eher stressig. Es tut mir ja leid für unsere Promo- und Plattenfirma, ich habe aber einfach keinen Bock, jeden Tag was zu posten und mir irgendwelchen Content zu überlegen oder zu schaffen. Manche Leute kloppen sich um einen Takeover und wir halt nicht. Wir haben auch schon Coverstorys für Zeitschriften abgesagt, weil… irgendwie kein Bock. Das klingt jetzt richtig bescheuert.

Roman: Es fühlt sich für uns manchmal irgendwie auch nicht richtig an. Wir verstehen natürlich total, dass das ein Luxusproblem ist, was wir haben. Für uns fühlt sich das aber nicht richtig an, weil wir einfach nicht so sind. Wenn wir dann mal was bei Instagram posten, war das bis vor kurzem wegen irgendeiner lustigen Idee, die wir im Tour-Bus hatten. Das sind am Ende des Tages auch schäbige, verwackelte Handyfotos. Daran sieht man auch, dass wir das nicht so ernst nehmen. Du freust dich eben mehr darüber, die Musik live zu spielen und zu präsentieren und eine Show zu machen. Damit Leute zu erreichen, ist uns wichtiger. Und ein ‚geile Show‘ ist mir tausendmal wichtiger als jedes beschissene Like bei irgendeinem Facebook-Kommentar oder Instagram-Post.

 

Diese Einstellung äußert sich ganz konkret in der Wahl des leicht peinlichen Albumcovers und –titels: Das Artwork von „Neintology“ zeigt alle Bandmitglieder lächelnd in die Kamera guckend. Vorne steht Felix in leuchtendem weiß – ein Cover, das man von einer Punkband, zumindest im weitesten Sinne, so nicht erwartet hätte.

Roman: Hosen runter – die Platte war fertig, bevor wir diesen Albumtitel hatten und wir haben gebrainstormt. Wir hatten sehr viele Vorschläge, die es alle nicht geschafft haben, und ‚Neintology‘ hat es eben geschafft. Und da konnten wir dann noch unseren bescheuerten Humor reinpacken und uns Zeugs überlegen. Unsere Promo-Leute müssen dann damit leben. Auch dieses Plattencover – uns ist ja bewusst, wie das aussieht! Das tut natürlich weh! Aber wir finden das ja lustig! Also, vielen Dank ans Grand Hotel, dass die das mitmachen. Jede andere Plattenfirma hätte wahrscheinlich gesagt: Nee Leute, nochmal neu machen, das können wir nicht bringen. Aber wir haben uns da eben was überlegt, und das wollen wir auch so durchziehen. Ich freu mich schon darauf, irgendwann in einen Plattenladen zu gehen, unsere Platte zu sehen und zu denken: Mann, das ist die hässlichste Platte in diesem ganzen Laden. Aber das schockt mich dann halt wieder und ich freu mich darüber. Das ist ein Dorn im Auge und der geht so schnell auch nicht raus.

Felix: Mit diesem Album und der ganzen Zeit, in der es uns noch geben wird, wird hoffentlich immer mehr unsere kranke Psyche durchkommen - einfach, so richtig scheiße zu sein.