Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #5: Tom Waits – „Bone Machine“

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Jonas düsteren Blues von Tom Waits in den Ring.

Mein erster Kontakt mit dem Künstler Tom Waits war ein Gespräch mit meiner Tante, auf dem Rückweg aus dem Familienurlaub. Irgendwann rotierte ein Tom Waits Best-Of im CD-Player, welches sich allerdings auf die früheren, traditionelleren Blues-Alben beschränkte. Musik, die mich als eingefleischten Fan von harter Gitarrenmusik eher weniger interessierte. Nebenbei erzählte sie mir von „Down by Law“, einem Film von Jim Jarmusch (dessen Filme ich ebenfalls sehr mag), in dem Tom Waits eine der Hauptrollen spielt.

Wahrscheinlich war ich noch nicht bereit, es dauerte auf jeden Fall noch zwei Jahre, bis ich mir auf die Empfehlung eines Freundes hin „Down by Law“ ansah und dort auch wieder über den Namen Tom Waits stolperte. Mein Interesse war geweckt und als ich so durch seine Diskographie scrollte, sprang mir „Bone Machine“ ins Auge. Irgendwas klingelte in meinem Kopf und das düstere Cover zusammen mit dem Albumtitel faszinierte mich sofort. „Bone Machine“ also.

Alleine die ersten zwei Songs bilden ein infernalisches Duo, die Apokalypse, den tonalen Weltuntergang. „The World Died Screaming“: Man sieht quasi vor dem inneren Auge, wie sich die Erde auftut und Dämonen auskotzt. Die absolut irre Stimme krächzt, jault und verkündet den Beginn des jüngsten Gerichts. Begleitet wird das ganze von einer nicht zu identifizierenden Percussion-Armee, die auch aus den Rippen von Skeletten bestehen könnte. Zum Abschluss erklingen Gabriels Trompeten und „Dirt In The Ground“. Asche zu Asche, Staub zu Staub, die Erde ist zu Ende. Und über allem singt Tom Waits seinen letzten Gospel auf die Unausweichlichkeit des Todes.

Trotzdem findet er auf „Bone Machine“ immer wieder zu seinen Blues-Wurzeln zurück. Songs wie „Who Are You This Time“ oder „A Little Rain“ sind traditionelle Blues Songs, die, durch wunderschöne Texte und diese einmalige Stimme, immer wieder kleine Inseln der Normalität in diesem Irrenhaus von Album sind. Generell lässt Tom Waits wie kein anderer im Kopf der Hörerinnen und Hörer finstere Gestalten und Geschichten entstehen. Bei der Country Nummer „Black Wings“, spinnt bei mir immer der Killer aus „No Country for Old Men“ herum.
Kleiner Funfact:„I Don’t Wanna Grow Up“ wurde damals sogar von den Ramones gecovert.

Und so vereint „Bone Machine“ das konsequente Suchen nach Neuem, das Verweigern von Normen, das Schwierige und Uneingängige, ohne komplett zu überfordern. Das ist es, was Tom Waits für mich so besonders macht: Dieses konsequente Verweigern gegenüber der Hörerwartungen und diese tonale Abbildung der eigenen Gedanken, Träume und Ängste, weit weg von irgendwelchen Genre-Korsetts.

Wie geht man eigentlich mit Künstlern und Künstlerinnen um, die allein beim Gedanken an ihren Namen für Überforderung aufgrund ihrer kulturellen Größe sorgen? Vor allem, wenn man bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Gelegenheit hätte ergreifen sollen, mit ihnen auf Tuchfühlung zu gehen und es irgendwie doch nur oberflächlich getan hat. Hallo Tom Waits, hallo Ehrfurcht. Eigentlich kennen wir uns ja schon. Weißt Du noch damals? Das Konzeptalben-Seminar? „The Black Rider“? Nein? Gut, dann sind wir schon zu zweit. Aber es bringt ja alles nichts. Heute geht es zumindest schon einmal nicht um „The Black Rider“ und schwer zugängliche Songs für das gleichnamige Theaterstück, sondern um „Bone Machine“ – das, wie ich mir sagen lassen habe, wohl zugänglichste Werk in Waits langatmiger Karriere. Und ich muss sagen, spätestens bei „Dirt In The Ground“ – dem zweiten Song des Albums – weicht Euphorie über Neuentdecktes der anfänglichen Ehrfurcht. „What does it matter, a dream of love or a dream of lies. We're all gonna be the same place when we die“, presst es Waits halb heiser, halb kraftlos mit hoher Stimme aus sich heraus. Willkommen zum absoluten Soundtrack zur Vergänglichkeit. Nichts Anderes ist „Bone Machine“. Eine morbide, düstere Abhandlung über den Tod, die übrigens in Inhalt und Form kaum schöner [sic] ineinandergreifen könnte. Ob kaputter Blues, tieftraurige Piano-Ballade oder stripped-down Rock-Moment. Auf „Bone Machine“ ist alles stimmungsvoll ins richtige gedimmte Licht gerückt. Tom Waits’ Stimme verhält sich dabei wie ein Chamäleon, das von seinem markanten Knurren bis zum zerbrechlichen Säuseln vieles kann. Auffällig ist, wie sparsam „Bone Machine“ letztendlich instrumentiert ist, mit wie wenig Schlagzeug die Songs auskommen und dennoch super dicht und intensiv daherkommen. Was sind eigentlich die Gründe dafür, dass man sich nicht intensiver mit einem Interpreten auseinandersetzt? Zeit? Ignoranz? Esnichtbesserwissen? Von allem ein wenig? Irgendwas ist ja immer. Im Falle von Tom Waits und seinem – wie ich immer besser nachvollziehen kann – Klassiker „Bone Machine“ sind das nicht mehr als faule Ausreden.

Den Sinn des Kreuzverhörs erfüllt Jonas mit seiner Plattenauswahl allemal. Ich musste mich ein beachtliches Stück aus dem seichten Gewässer des eigenen Geschmacks herauswagen. Tom Waits‘ Schaffen war mir bis zum erstmaligen Hören von „Bone Machine“ gänzlich unbekannt. Ein wehmütiger Hauch an Melancholie umgibt die im Jazz und Blues zu verortenden Arrangements. Manches ist weitestgehend unzugänglich („In The Colosseum“), manches gar mühselig („The Ocean“). Es wirkt wie eine Grauzone zwischen der rhythmischen Simplizität von Populärmusik („Going out West“) und der gleichzeitigen Abkehr von ebenjener. „Let Me Down Up On It“ ist die tongewordene Verneinung: mystisch, effektüberladen und ohne den Versuch, die Hörerschaft erreichen zu wollen. Ein Highlight ist sicherlich „Whistle Down The Wind“. Tom Waits fühlbar arbeitenden Stimmbänder prägen das Bild. Dieses basiert auf konträren Empfindungen der persönlichen Wirklichkeit. Sie harmonieren tadellos mit dem Piano und den Streichern. Auch rein instrumentale Parts verstärken den Eindruck, was bei „Dirt In The Ground“ in ähnlichem Maß überzeugt. Unbestritten ist, dass man es hier mit einem freigeistigen Künstler zu tun hat. An einem verregneten Novembertag kann der ein oder andere Song für sich genommen funktionieren, zu jedem anderen Zeitpunkt empfehle ich, den (im Mittel durchaus positiven) Gesamteindruck sprechen zu lassen.

Zwischen Rhythmen aus den aberwitzigsten Instrumenten und herzzerreißend schonungslosen Folk-Balladen à la Johnny Cash verstört und verzückt Tom Waits mit seinem Werk auch über ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen immer noch. „Bone Machine“ trägt den Blues und den Country fest in sich und klingt streckenweise so dermaßen nach Südstaaten-Steppe, dass man sich den feuchten Furz, den der Mastermind auf zeitgenössische populäre Musik gibt, nicht erst vorstellen muss. Neben introvertierten Balladen spuckt Waits dann wieder Gift und Galle und klingt wie ein vom Teufel besessener Leonard Cohen - dieses Album bleibt geheimnisvoll mit jedem Durchlauf, gewinnt aber stetig an Faszination und erinnert in skurriler Art und Weise an den diabolischen Gospel-Satanismus eines Zeal&Ardor. Die Frage ist, ob wir uns in diesen dunkelgrauen Strudel hereinziehen lassen wollen.