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Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #4: The Gaslight Anthem - "Get Hurt"

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Moritz etablierten Rock von The Gaslight Anthem in den Ring.

Auch wenn die meisten dieser Platte, wenn überhaupt, Mittelmaß zugestehen, so liebe ich „Get Hurt“ heiß und innig. Angefangen mit dem rotzig-rauen „Stay Vicious“, das die Hörerschaft schon auf eine falsche Bahn leitet. Die harte Schiene schielt auf dem Album nur selten hervor und zwar genau in der richtigen Menge. Und diese Stimme! Brian Fallon ist so rau und rauchig und dabei doch so unglaublich sanft und ja, auch ziemlich geradlinig, was mit dieser Stimmfarbe aber ein vollkommenes Gesangserlebnis ergibt. Man mag es heraushören, ich bin ein wenig verliebt.

Aber wie könnte ich es auch nicht sein, bei seiner bezirzenden Stimme in „Get Hurt“ und „Break Your Heart“ oder dagegen bei dem Ausbruch mit Gänsehautgarantie in „Selected Poems“. Gerade stimmungstechnisch hat die Platte einfach alles zu bieten, vor allem für ein spezielles Mysterium des Menschen: „Ich bin traurig, deshalb höre ich jetzt traurig klingende Musik an!“

Genau für diese Stimmung ist „Get Hurt“ perfekt. Einfach weil absolut jeder Track in seiner Weise in das Gesamtwerk hineinpasst. „Stay Vicious“, „Ain't That A Shame“, „1,000 Years“ und „Dark Places“ bieten den Soundtrack, um mit tränenüberströmten Gesicht deine komplette Bude auseinander zu nehmen. „Break Your Heart“, „Underneath The Ground“ und besonders „Get Hurt“ eignen sich wiederum dafür, um danach weinend in Embryonalhaltung an der Wand zu lehnen. Dann ist da noch dieser eine Track, der in der verzweifelten Situation einen Wendepunkt darstellt: Bei „Stray Paper“ stehst du zur Bridge auf und wischt dir die Tränen weg. Dann singst du den Text mit, bis du ihn am Schluss brüllst und fühlst dich schließlich schon viel besser.

Nun bist du bereit, um ein wenig abzugehen. Ob du dann „Helter Skeleton“, „Red Violins“, „Selected Poems“ oder einen Mix aus all denen hörst, ist dann eigentlich egal, denn passend sind sie alle. Zu guter Letzt gibt es noch den Track, den du hörst, wenn du Tage später, vielleicht auch Wochen oder Monate, mit deinen Kumpels bei einem Bier auf dem Balkon sitzt und lachend die ganze Geschichte Revue passieren lässt. Mit „Sweet Morphine“ verwandelt sich das letzte bisschen Wehmut in Nostalgie und tut auch nicht mehr weh. Auch wenn das bei Indie-Rock, fast schon Indie-Punk, kein Kompliment ist, so ist „Get Hurt“ trotzdem das rundeste und vollkommenste Album der Diskographie. Außer vielleicht „The 59th Sound“ - sagen wir Gleichstand.

Den Namen von The Gaslight Anthem kennt wahrscheinlich jeder, der sich nicht nur oberflächlich mit Rockmusik beschäftigt. Ich ebenso, dank Moritz weiß ich nun aber auch, wie die dazugehörige Musik klingt. „Get Hurt“ gibt mir aber nicht unbedingt das Gefühl, in den letzten Jahren etwas Weltbewegendes verpasst zu haben. Das klingt wie Nathan Gray in weniger pathetisch. Hängen bleibt vor allem, dass die Songs in ihren Intros gerne mal falsche Erwartungen wecken – und zwar ganz unterschiedlicher Natur. Das Eröffnungsriff von „Stay Vicious“ lässt mich einen Rage-Against-The-Machine-Klon vermuten, „Break Your Heart“ geht wie „Wake Me Up When September Ends“ von Green Day los und „Selected Poems“ erinnert mich gar an Milky Chance. Letztendlich läuft aber alles auf schwermütige Mitsing-Melancholie à la Hot Water Music hinaus, die ich hören kann, aber nicht muss. Die Stimmung solcher Bands kann ich schon irgendwie nachvollziehen – aber Zwingendes sehe ich darin einfach nie.

Tausendmal habe ich bereits von The Gaslight Anthem gehört und tausendmal es nicht für nötig gehalten, mich mit ihnen zu beschäftigen. Es brauchte also dieses Format, um zu begreifen, dass die Amerikaner alles bieten, was meinem musikalischen Beuteschema gerecht wird: Einen markanten Sänger, voluminöse Gitarren und einen ausdrucksstarken Gesamteindruck.

Der Einstieg kostet erst einmal Überwindung. Die Stimme von Sänger Brian Fallon braucht einige Momente bis ich mit dem seichten Quäken in den Vocals meinen Frieden gefunden habe. Ganz nach dem Motto „It’s not a bug, it’s a feature“ sorgt genau diese Irritation für einen hohen Wiedererkennungswert, den ich jetzt nach einigen Durchläufen zu schätzen weiß. „Get Hurt“ ist zum Beispiel bereits instrumental eine starke Sache, aber Fallon strahlt an dieser Stelle so viel Schmerz aus, dass es fast physisch wehtut und mich schon beim dritten Song beeindruckt zurücklässt – und das mit einer Herzschmerzballade! Ehrlicherweise hatten mich The Gaslight Anthem bereits beim zweiten Track „1,000 Years“ an der Angel. Das Intro dieses Songs wäre mit seinen opulenten Riffs im Hard Rock der 80er die Offenbarung gewesen! Leider kann die zweite Hälfte nicht mit der Stärke der ersten mithalten. Es fehlen die Songs, die nach dem Hören direkt im Kopf bleiben. Kein Instrumentalpart sticht mehr heraus, keine mutigen Vocals, man ist plötzlich auf Nummer sicher gegangen. Solide gut bleibt es trotzdem, das Album bereichert deswegen ab sofort meine Playlist.