Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #32: Orden Ogan und "Easton Hope"

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Mark Bombast-Metal von Orden Ogan in den Ring und prompt hat sich die halbe Redaktion eingefunden, um "Easton Hope" ins Kreuzverhör zu nehmen.

Marburg an der Lahn, 21. Oktober 2010. Orden Ogan traten im "Knubbel" in der Schwanallee auf. Dass man bei Google dazu heute nichts mehr findet und ich das genaue Datum nur via Facebook herausfinden konnte, weil mein Bruder damals mit seiner Band Support spielte und vorbildlich Datum, Ort und Haupt-Act in seine Bildunterschrift gepackt hat, sagt einiges über die Bedeutung dieses Abends aus. Orden Ogan hatten gerade ihre dritte Platte „Easton Hope“ veröffentlicht, das Publikum in seiner Anzahl war an diesem Abend alleine aufgrund der Größe der Location überschaubar. Wer sich nur oberflächlich vorbereitet hatte war, wenn überhaupt, nur in der Lage „We Are Pirates“ mitzusingen und hatte damit bereits im Vorfeld die schönsten Seiten von „Easton Hope“ versäumt. Liest man sich heute die Reviews von Metal-Hammer, Rock Hard und Co. im durch, wurde der Arnsberger Melodic-Power-Metal-Band bereits vor über zehn Jahren das prophezeit, was sich letztendlich bewahrheitet hat: Eine große Karriere, millionenfach geklickte Videos, Chartplatzierungen und Präsenz in Wacken. „Easton Hope“ war nur einer der ersten Schritte und ist für mich eins der Alben, die nur im Gesamten funktionieren, durchgehört von Anfang bis Ende. Dazwischen passiert oft zu viel, um es in einem Durchgang überhaupt zu realisieren. Nach einem epischen Intro pustet „Nobody Leaves“ - genauso wie später beispielhaft „Nothing Remains“ -  ordentlich die Ohren durch. Dem entgegen stehen melodische und entschleunigte Nummern wie „Easton Hope“ oder „Welcome Liberty“. „Requiem“ ist eine absolute Gänsehaut-Ballade mit Chor, alles andere spielt sich irgendwo dazwischen ab. Im Songwriting lassen Orden Ogan dabei keine Facette aus: Orchester, Chöre, fette Gitarrensoli und… nun ja… „We Are Pirates“. Damals war das total viral gehender Klamauk, der heute im gesamten Werk für mich eher störend erscheint. Was nach über zehn seitdem vergangenen Jahren bleibt, ist ein mit jeder Note in mein Gehirn eingebranntes Album, das ich für seine Vielfalt nach wie vor liebe. Das beste Beispiel dafür sind die in das grundsätzlich harte Stück „The Black Heart“ eingebauten ruhigen Parts: „When there‘s nothing left to lose, and the sun won’t shine on one of us again, we'll throw away our shattered dreams, burning all the bridges to the past“. Hoffentlich brennen Orden Ogan die Brücken zum Sound ihrer Anfangstage niemals nieder.

Fun Fact: Beim ersten Durchhören habe ich im Opener „Nobody Leaves“ statt der Refrainzeile „Nobody leaves Easton Hope“ konstant „Nobody needs Easton Hope“ verstanden. Das stimmt natürlich nicht. Vielleicht bin ich inzwischen altersmilde geworden, aber ich glaube tatsächlich, dass viele Leute „Easton Hope“ brauchen. Jene Metaler zum Beispiel, die mit neiderfülltem Blick auf ihre Musical-Freunde gucken, die zu Konzerten in lustigen Piratenkostümen erscheinen, sich mit Reis abwerfen und mit den Armen in der Luft rumwedeln dürfen als wären sie druckluftbetriebene Werbepuppen. Zum Glück leben wir im 21. Jahrhundert und auch harte Metal-Jungs dürfen „weiche“ Musik hören, vorausgesetzt es gibt genug Ratatat-Gitarren, die grimmig mit den Hufen scharren und hochfrequente Dudeldideldeee-Frickelsoli zum flexen. Was mich persönlich anbelangt: Nun, mein zweiter Auslug in Metal-Oper-Gefilde hinterließ schon mal nicht mehr diesen säuerlichen Geschmack im Rachen wie zuletzt noch Avantasias „The Scarecrow“. Eher schon ließe sich „Easton Hope“ irgendwo zwischen abgestandenem Esspapier und einem sehr neutralem Käse verorten, ein junger Gouda vielleicht, aber der vorgeraspelte aus der Tüte. In jedem Fall – etwas zu cheesy für mich.

Ich bin kein großer Metalfan. Ich mag Bier und lange Haare, aber die meisten Metal-Alben die ich kenne, sind mir entweder zu pathetisch, toxisch maskulin oder mittelalterlich. Ich mag Bands die über ihre Gefühle singen und weniger das Geschichtenerzählen, was in gewissen Metalgenres ja gern genutzt wird. Mehr Depressionen, weniger Drachen und Wikinger - so ließe sich mein Wunsch wohl am ehesten beschreiben. Wenn ich dann schon Songtitel wie „We Are Pirates“ lese, muss ich an Santiano denken. Das Intro „Rise And Ruin“ war schön und hätte auch einen märchenhaften Disneyfilm eröffnen können. Der Rest war dann das, was ich erwartet hatte. Gitarrenlastige Musik mit Texten, die mich eher kalt lassen, über Themen, bei denen ich mich teils frage, wie es dazu kam. Kam der Schlagzeuger irgendwann nach einer Augenoperation mit Augenklappe in den Proberaum und der Bassist, der am Tag davor noch „Peter Pan“ gesehen hatte, sagt: „Jo, Leute! Das isses! Wir machen Piratenmetal!“ oder wie kommt es zu sowas? Und wie sehr verschreibt man sich dem Thema? Hat der Sänger eine Galionsfigur am Mikroständer und einen Haken als Hand? Sehen die Gitarren wie Treibholz aus? Ist der Tourbus ein altes Schiff auf Rädern? Lässt man stilecht seine Zähne verfaulen? Gibt es dann auch „Modern Pirate Metal“ über die somalischen Piraten, die Kreuzfahrtschiffe kapern? Ich verstehe es nicht. Musikalisch ist „Easton Hope“ gar nicht übel, wenn man Metal mag. Schnell, gut gespielt, abwechslungsreich und gut produziert. Mit 16 Jahren hätte ich es vermutlich geil gefunden, weil ich damals eigentlich alles gehört habe, was laut war und Gitarren hatte. Aber heute muss ich dankend ablehnen. Es berührt mich einfach nicht. Wer aber gerne Käpt’n Iglo Werbung guckt oder die „Fluch der Karibik“-Filme und schnelle Gitarrenmusik mag, dürfte mit „Easton Hope“ echt Freude haben. 

Powermetal im Kreuzverhör. Endlich wieder Pommesgabeln und Nietenarmbänder! Noch kurz die schulterlangen Haare shampooniert und den Vollbart gekämmt und ab geht die wilde Fahrt nach Easton Hope. Mit einem Cover wie von einem John-Sinclair-Gruselhörspiel und einem Intro, das wahlweise dem Score eines B-Movie-Fantasy-Epos oder aber dem Back-Catalog des pathetischsten Kirchenchors der Welt entstammt, ist Orden Ogans zweites Album die Antwort auf die Frage: Was wenn Iron Maiden die Musik zu Cats gemacht hätten? Meddl Loide! Jeder zweite Song hat jaulende Geigen und Schunkelchöre, aber Hauptsache wir rümpfen beim spielen alle grimmig die Nase und Wackeln mit dem Kopf, Grrrr.

In einem anderen Leben wären die Mitglieder von Orden Ogan (mein Kopf möchte übrigens immer Oden Organ schreiben) mit Sicherheit Ingenieure oder Feinmechaniker geworden, denn eins muss man ihnen lassen: handwerklich beherrschen die fünf Herren ihre Instrumente sehr gut, die synchronen Headbanger-Gitarrenriffs sitzen perfekt auf dem minutiösen Double-Base-Drumbeat und die Produktion ist dermaßen auf Hochglanz poliert, dass jedem Fensterputzer der Mund offen stehen würde. Das Problem an dieser handwerklichen Perfektion ist nur, dass sie kalt ist. Da helfen auch alle Versuche nicht, dieser aalglatten Musik mit mystischer Geschichtenerzählerei und Texten über das verwunschene Easton Hope und irgendwelche Seeräuberattitüden ein bisschen Leben einzuhauchen. Ein Golf wird ja schließlich auch nicht plötzlich zum Araber-Hengst, nur weil man einen Sticker mit einem schnaubenden Mustang auf die Motorhaube klebt. Dass Powermetal hierzulande ganze Stadien voll macht, kann ich mir nur so erklären, dass die betreffenden Bands - sobald man sie ihrer martialischen Pyro- und Lichtshow beraubt und sie von der großen Bühne in ein kleines Jugendzentrum quetscht - alles von ihrer Epik verlieren und nur noch aussehen wie eine deplazierte Freundesgruppe auf der Durchreise zum nächsten LARP. “We Are Pirates”... Alter, ihr seid höchstens Quietscheenten.