Im Kreuzverhör

Im Kreuzverhör #19: Clueso - "So sehr dabei"

Was in internen Redaktionskreisen schon seit geraumer Zeit bedrohlich im Dunklen lauerte, wird nun Realität: Unser Team nimmt Clueso mit "So sehr dabei" in das Kreuzverhör. Wie viel kann deutschsprachiger Pop leisten?
Clueso So Sehr Dabei Cover

Endlich. Endlich steht ein vollwertiges Kartoffelpop-Album im Kreuzverhör, dessen pathetische Kalenderspruch-Lyrics es sich zu zerreißen lohnt; endlich mal eine Platte, auf die man ohne schlechtes Gewissen eindreschen darf, ist doch sowieso alles nur Wir-Gefühl-getränkter Tonmüll von sehr mittelmäßigen Musikern für sehr mittelmäßige Zuhörer. So dachte ich. Mea Culpa, wie habe ich mich getäuscht. „So sehr dabei“ ist zwar kein gutes Album, aber Standardware ist es nun wahrlich nicht. Teils brechen aus Cluesos Singer-Songwriter-Geklimper urplötzlich verzerrte Gitarren hervor („Augen Zu“), teils verlieren sie sich in unnötig langen Jams („Geisterstadt“) mit überraschend klugen Texten oder mutieren zu Representer-Tracks im Stile von Trettmans „Wie du“, der bei Clueso „So sein wie du“ heißt. Völliger Wahnsinn. Als hätten sich Udo Lindenberg, Matthias Schweighöfer und D’Angelo auf einer Jam Session mit Rohypnol weggeballert und dabei aus Versehen deutschen R’n’B erfunden. Allein Cluesos dargebotene Dauer-Melancholie samt auditiven Hundeblick nervt bisweilen. 

Warum mach ich das hier eigentlich noch mit? Kreuzverhöre sind ja immer ein wenig schmerzhaft, aber das ich nun auch noch Clueso hören musste ist schrecklich. Bedeutungsleere Texte und hausfrauenfreundliche Melodien für Musikhasser, die am Sonntag beim Vorbereiten des Frühstücks in der Küche dazu tanzen und schräg und falsch mitsingen können. Erschwerend kam hinzu, dass mir nur die Remastered Version, die eher wie ein Demo klingt, zur Verfügung stand. Spotify hat nämlich die Originalversion nicht mehr online (einer der Gründe warum ich diese Streamingdienste hasse, denn auch wenn es schwer vorstellbar ist, gibt es Leute die eventuell die Originalversion hören wollen). „Gewinner“ kannte ich noch von damals, da es ab und an im Fernsehen lief. War es damals ein langweiliger Track, wurde 2014 eine viel zu laute Akustikgitarre darüber gelegt und machte den Song endgültig unhörbar. 

Aber zurück zum eigentlichen Album. „So sehr dabei“ entspricht nicht dem Titel. Niemand ist dabei. Weder ein guter Textschreiber noch ein interessanter Musiker, aber dafür viel Luft nach oben. Dieses Album badet sich dermaßen in Bedeutungslosigkeit, dass ich mich schon damals fragte, wer sowas hören will. Aber Tim Bendzko und Max Giesinger hatten ja auch Erfolg und niemand kann mir das erklären. Leute wie Clueso sind der Grund, warum ich mental abschalte, wenn ich höre, dass jemand Singer- und Songwriter sei. Wenn ich nichts zu sagen habe, sollte ich es auch nicht tun, aber Clueso hat sich auf „So sehr dabei“ nicht daran gehalten, sondern über ewig scheinende Minuten seine Leere aufgenommen. Hits wie „Wir wolln Sommer“ beweisen dies eindrucksvoll. Vermutlich verbergen sich hinter abgehalfterten Phrasen sogar ernsthafte Emotionen und Clueso hat auf "So sehr dabei" sogar was verarbeitet, aber es eröffnet sich mir nicht und bleibt stetig im Verborgenen, versteckt unter Wandtattoozitaten und Pinnwandsprüchen für Teenies. Ich bin kein Feind deutschsprachiger Musik, aber „So sehr dabei“ ist weder gut, noch spaßig genug um es gerade wegen der eher miesen Texte zu feiern. Da höre ich echt lieber den PUR-Hitmix und kann jedes Wort mitsingen. Dafür schäme ich mich weniger, als meinem Hund noch einmal Clueso anzutun. 

Clueso bedient ein Publikum, zu dem ich noch nie gehörte. Er steckt bei mir immer noch in einer riesigen Schublade mit etlichen seiner Kollegen, die für mich aufgrund meines mangelnden Interesses alle gleich klingen und leider regelmäßig meine Mittagspause mit den Kollegen begleiten. Nur welcher von denen war das denn gleich? Kurze Recherche: „Ach der! Moderiert der nicht auch bei ProSieben?! Nicht? Ok...“ Sollte er mal drüber nachdenken, passt der gut rein.

"So sehr dabei" ist das vierte Album von Clueso und bis heute das erfolgreichste. Na Prost, Hits vorprogrammiert. Aber krass, elf Jahre ist das schon wieder her, dass der keinen Zentimeter zwischen ihm und was weiß ich wem wollte? Seit er und wir alle dabei waren uns zu verlieren? Melodien, die wohl irgendwie jeder kennt, ob man will oder nicht. Genau wie Joe musste ich mir die Remastered-Version des Albums bei Spotify anhören und finde dabei tatsächlich für einen Moment einen Sinn im Album. Auf die Gedankengänge dazu brachte mich Clueso selbst, als ich so da lag und unter die Decke starrte: „Es tut so gut so gut mal nichts zu tun (…), es tut so gut sich auszuruhen“. „So Sehr dabei“ lief eine gefühlte Ewigkeit und irgendwann war es mir egal, was der Kerl da eigentlich singt. Ich dachte über die eine Zeile mehr, über die andere weniger nach und ließ es einfach mal geschehen. So schlimm wie befürchtet war es dann auch nicht. Freunde werden Clueso, seine auf deutsch jammernden Kollegen und ich aber auf lange Sicht nicht werden.