Im Kreuzverhör # 11: Sean Paul – „The Trinity“

Einmal monatlich stellt sich die Redaktion gemeinsam Platten außerhalb ihrer Komfortzone. Dieses Mal wirft Marco eingängigen Dancehall von Sean Paul in den Ring. Als Gast ist dieses Mal Sven Bensmann von Hi! Spencer dabei.
Sean Paul Kreuzverhör

Was die technisch überholte, mittelschwer angestaubte Dorfdisko mit der Fanmeile zur Fußball-Weltmeisterschaft oder den Vergnügungsvierteln von Las Vegas zu tun hat? Bis auf gesteigerten Alkoholkonsum und wilde Lebensfreude wenig - bei genauerem Hinsehen vielleicht noch den Singsang von Sean Paul, mit dem man die angeführten Charakteristika unweigerlich in Verbindung bringt. Treibende, rhythmische Hip-Hop Beats gepaart mit eingängigen Samples und Gastbeiträgen diverser Stars und Sternchen machen in Summe mehrere Millionen verkaufte Platten aus. Es scheint, als sei Sean Paul ein Wegbereiter der heutigen Trap-Szene, welche besonders aus dem deutschsprachigen Raum kaum mehr wegzudenken ist. Kontra K´s Verse prägen Heerscharen jugendlicher Rebellen, die 187-Straßenbande dröhnt aus jedem zweiten tiefergelegten Opel Corsa und für Trettmann oder Ahzumjot eröffnen sich ebenfalls blühende (Hörer-)Landschaften. Dafür allein wird man Trinity sicherlich nicht verantwortlich machen können. Doch was mit „We Be Burnin'“ und „Temperature“ im Jahre 2005 gesät wurde, kann nun munter geerntet werden. Solange es Menschen gibt, denen das Hören Freude bereitet (was augenscheinlich der Fall ist), stellt sich die Frage der Existenzberechtigung zwar nicht – die Frage nach der musikalischen Halbwertzeit ist hingegen durchaus angebracht. Ein über weite Strecken durchschaubares Konzept, dem man seine Eingängigkeit nur schwerlich abreden kann. So wird jeder Kritiker sich auf kurz oder lang beim Mitwippen erwischen. Fairness muss schließlich sein.

Glücklicherweise gibt es mittlerweile Popmusik, die nach vielen Maßstäben des guten Geschmacks eine gewisse Qualität beweist. Billie Eilish verzaubert Teenies weltweit mit traurig schöner Mehrstimmigkeit, Twenty One Pilots transportieren Selbstzweifel und persönlichen Struggle auf die größten Bühnen der Welt, und The 1975 verbinden Mainstream-Arrangements mit Individualität. Leider waren die Pop-Zeiten nicht immer so dankbar wie heute – 2005 befand sich zwar Emo- und Pop-Punk auf seinem Höhepunkt, leider beweist Sean Pauls "The Trinity" jedoch, dass das klischeehafte Bashing von Reißbrett-Radiohits nicht immer unangebracht ist. Im Gegenteil: Die uninspirierten und offen auf Kommerz angelegten R'n'B-meets-Dub-Produktionen mögen wie "Temperature" zwar noch heute auf einigen 16er-Partys laufen, besonders viel künstlerischer Geist steckt in diesem Werk nicht. Sean Pauls geschmacklose Lyrics und seine steife Darbietung lassen weder einen gewissen Charme erahnen noch sonst erkennen, wieso trotz des Alters von 14 Jahren immer noch Millionen Menschen dieses Album streamen. Wenn man ein Destillat der mit über einer Stunde Laufzeit und ganzen 18 Songs absurd zu lang geratenen Platte herausziehen wollte, so wäre es: Haltet durch, Kids of 2005. Die Zeiten werden besser.

Dance Hall ist nicht unbedingt mein Lieblingsgenre. Wie es der Zufall will hatte ich 2005 aber eine kurze Phase, in der ich beinahe ausschließlich Rap und Reggae hörte. Warum, weiß ich nicht. Genau in diesem Jahr kam auch „The Trinity“ raus und ich habe es mir gekauft. Die CD ist vor Jahren einem Umzug zum Opfer gefallen und wurde aus platztechnischen Gründen verkauft, da ich sie nicht mehr gehört habe und jemand anderes wohl mehr damit anfangen konnte. Dennoch habe ich noch einen Song davon auf dem Rechner und der ist auch verdammt gut. „Never Gonna Be The Same“ ist eine geile Ballade, bei der sich Sean Paul musikalisch treu bleibt und allein das ist begeisternd. Der Rest des Albums lässt mich mittlerweile größtenteils kalt, auch wenn ich beim Hören ein wenig nostalgisch wurde. Musikalisch ist es einfach nicht meine Welt. Ich werde mir „The Trinity“ wohl kaum noch einmal komplett anhören und kann es auch nicht so wirklich empfehlen, aber wer es nicht kennt sollte wenigstens einmal „Never Gonna Be The Same“ anspielen.

Eine halbwegs fundierte Rezension über ein 2005er Dancehall Album abzugeben ist möglicherweise die schwerste Aufgabe, die ich in meinem Leben jemals bewältigen musste. Rein subjektiv und aus dem Bauch heraus will ich „The Trinity“ von Sean Paul noch nicht einmal anfangen zu hören, geschweige denn, dass ich Lust hätte nach den ersten Sekunden des ersten Tracks „Fire Links Intro“ auch nur ein kleines weiteres Fitzelchen meiner Lebenszeit für diese Art von Musik zu verschwenden. Aber mir ist vollkommen bewusst, dass dies meinem ganz persönlichen Geschmack geschuldet ist. Es gibt da draußen Leute, die das mögen. Es gibt da draußen mit Sicherheit Menschen, die beurteilen können, ob es qualitativ hochwertig ist, erschreckend oft im Verlauf eines Albums den Namen des Interpreten zwischen brachiale Beats und schrille Melodien zu brüllen. „SEAN PAUL!“ überall. In wirklich fast jedem Song des Albums beweihräuchert sich Mr. Paul, sollte das Seans Nachname sein, selbst. Ich habe durchgehalten. Ich habe komplett durchgehört, was sich mehr als 2,3 Mio. Mal verkauft hat. Es bleibt die Frage, wer sich diese Musik in was für einer Gefühlslage anhören möchte. Soll Musik nicht Emotionen ausdrücken, bestehende Gefühle bestärken oder spezielle Empfindungen konkret hervorrufen? Das hier hört man sich höchstens an, wenn man überzeugt ist: „Ich bin der geilste Ficker des Orbits!“ Viel Spaß dem, der das mag und Gnade dem, der das hören muss. „I got the right temperature for turning this shit off.“ – Sven Bensmann, hätte lieber was von den Ärzten gehört...