Update: So geht es der Musikwelt am Ende des Corona-Jahrs

Im April fragten wir einige Bands und Akteure aus der Musikbranche, wie es ihnen gerade im Angesicht der gerade erst Wirklichkeit gewordenen Pandemie geht. Ein halbes Jahr ist vergangen, Corona ist immer noch Realität - und wir haben nach einem Update gefragt.
Blackout Problems

Michael Dreilich (Blackout Problems): Mir fällt es immer noch schwer, von meiner persönlichen Situation beziehungsweise der Situation meiner Band auf ein allgemeines Gefühl aller Menschen schließen zu können. Die Grundaussage, unser grundsätzlicher Wunsch, den wir im April geäußert hatten, besteht weiterhin: Wir müssen zusammenhalten, wir müssen solidarisch bleiben, wir müssen mit Menschen, die rechter Meinungsmache zum Opfer fallen diskutieren und ihnen erklären, warum man sich zu Unrecht mit Sophie Scholl vergleicht. Was unseren Band-Alltag betrifft halten wir uns weiterhin an musikalischen Projekten und vor allem am Release unseres neuen Albums "Dark" am 15. Januar fest. Es ist mit Sicherheit ein Release, an den wir uns für immer erinnern werden. Noch nie hatten wir mit einer solchen Unsicherheit zu tun und noch nie mussten wir so sehr kämpfen, um das Boot nicht untergehen zu lassen. Durch die gerade steigende Verwendung von Wörtern wie "Impfstoff", "Zulassung" und "Impfzentren" wird das Licht am Ende des Tunnels natürlich immer sichtbarer und es löst sofort ein Kopfkino aus, in dem man die mittlerweile mehrfach verschobenen Konzerte endlich spielt und wieder diese unmittelbare Bestätigung und Euphorie spürt, die wir als Künstler*innen, geben wir es ruhig zu, manchmal einfach brauchen. Dass ich einen Soundcheck wie den bei unserer Corona-konformen Show in München am 14. August nach fünf-monatiger Live Pause als so dermaßen emotional empfunden habe, hat mir mal wieder gezeigt, wie sehr ich das Livespielen mit allem was dazu gehört liebe und wie verdammt wichtig es ist, das möglich zu machen. Auch in Zeiten einer Pandemie. Vor allem dann, wenn die mentale Gesundheit vieler Menschen auf der Kippe steht, ist Ablenkung vom Corona-Alltag in Form von Kunst und Kultur immense wichtig, vom wirtschaftlichen Faktor mal ganz abgesehen.

Jonas Horn (Minutenmusik): Es klingt platt, aber: Klicks sind für Online-Medien die wesentliche Währung. Die Anzahl von Besucher*innen bestimmt maßgeblich mit, für wie relevant Kooperationsparter*innen dein Medium halten – und auch dementsprechend behandeln. Der Wegfall von Konzerten trifft uns als Blog demnach gleich dort, wo es am meisten weh tut: Zeitweise brachen unsere Aufrufe im Vorjahresvergleich um ein Viertel ein. Andersherum können wir sagen: Nur um ein ein Viertel! Denn die Rezensionen, die weiterhin kamen, konnten das gut auffangen. Trotzdem: Mit tatsächlich stattfindenden Konzerten und Festivals wäre das Projekt wohl (mal wieder) deutlich gewachsen. Dass Musik bei uns nun vor allem in Form von Album-Besprechungen stattfindet, hat zudem persönliche Implikationen: Erwacht Musik doch gerade in seiner Live-Umsetzung zu einem Interaktionsmedium, fehlt mit den vielen Shows ein maßgeblicher Teil des großen Ganzen. Das zerrt an der Motivation – und an der Laune. Da möchte man gar nicht an eine wohlmöglich ausgedünnte Post-Corona-Kulturlandschaft denken!

Hakan Halaç (Kora Winter): Man soll ja vorsichtig damit sein, sich über positive Nebenwirkungen zu erfreuen, schließlich ist es am Ende noch immer eine gottverdammte Pandemie. Betrachtet man die Auswirkungen des ganzen Spektakels bis dato, ist es für uns nach wie vor ziemlich glimpflich gelaufen. Ja, wie schön wäre es jetzt, in einer x-beliebigen Kleinstadt vor einer oder einhundert Personen zu spielen und sich anschließend einzureden, Schlaf auf hartem Parkettboden sei gut für den Rücken. Hat jemand bei YouTube gesagt, oder so. Geschichten von Künstler*innen, die kompromisslos alles für die Leidenschaft hinschmeißen werden oft romantisiert, doch genau das bricht den meisten jetzt das Genick. Auch wir sahen uns gezwungen, unserem Leben außerhalb der Musik Bedeutung zu schenken, was einer latenten Verbissenheit infolge des harten Entstehungsprozesses von "Bitter" zum Glück ein wenig entgegenwirkte. Aus dem eigens konstruierten Bedeutungsgewebe herauszutreten hat uns Klarsicht gegeben, nicht in die Kreativpsychose zu verfallen. Wir können uns die Zeit zu nehmen, Ideen reifen zu lassen. Das Ego in Zaum halten, ohne den Anspruch zu senken. Uns freuen, in diesen Zeiten Musik machen zu können, statt zu müssen.

Tim Vantol: Nun, ein paar Monate später und wir stecken immer noch fest und es ist frustrierend, vor allem, weil wir nichts planen können, da niemand weiß, wann es vorbei sein wird. Ich habe mein Album wie geplant im Mai veröffentlicht und es war auf der einen Seite hart, da es schwer ist, ein Album ohne Tour zu veröffentlichen. Auf der anderen Seite gab es aber auch neue Möglichkeiten, wie z.B. gutes Radio-Airplay (da es nicht viele neue Veröffentlichungen gab) und gute Unterstützung von den Fans. "Better Days" schaffte es sogar in die deutschen Charts (Platz 32). Aber der Grund, warum ich das alles mache, ist, weil ich es liebe zu touren, live zu spielen und zu reisen, also ist es besonders hart nach all den Monaten, die ich zu Hause war. Zum Glück konnte ich diesen Sommer eine Handvoll besonderer Shows spielen: Autokino, Biergärten, vor einer Festival-Crew und auf einem Parkplatz mit Gartenstühlen. Ich habe wirklich jede einzelne davon genossen, da es so schön war, die Leute wiederzusehen, und vor allem ihre glücklichen Gesichter und ihre Unterstützung. Aber um ehrlich zu sein, nachdem ich die ersten paar Monate ziemlich optimistisch war, fängt es jetzt an, mich zu erwischen, es fängt an, mich runterzuziehen, ich fange an, frustriert zu werden. Ich hoffe, dass sich das alles bald ändert, denn ich habe es satt, von zu Hause aus zu arbeiten und ich habe es satt, frustriert zu sein. Aber: Um ehrlich zu sein bin ich auch dankbar, dass ich so viel Zeit mit meiner Frau und unserem Neugeborenen habe.

Finte: Die Lockerungen über den Sommer haben uns zunächst erlaubt, so etwas wie einen Bandalltag zu haben. Zudem konnten wir im August bei einer Radiokonzertreihe mitspielen. Solche Termine haben uns geholfen, auf ein Ziel hinzuarbeiten. Wie bei allen digitalen Formaten ist das Fehlen der direkten Interaktion aber auch hier nicht wegzureden. Im September haben wir mit unseren Aufnahmen für das Album anfangen. Mit den steigenden Zahlen wurden erst die gemeinsamen Proben gestrichen und letztendlich müssen auch Aufnahmen für das Album pausieren – so geht es nun wieder zurück zu Skype-Gesprächen und Remote-Recording. Die veränderten Bedingungen in unseren Home-Studios haben dafür zu zwei spontane Single-Veröffentlichungen geführt. Und weil Marvin und Chris die gemeinsamen Gespräche über Musik fehlen, haben sie sich mit dem Podcast „Vorgehört und Nachgedacht“ ein Ventil für den aufgestauten Redebedarf geschaffen. Natürlich gleicht all das nicht die Beschränkungen aus, der sich die gesamte Kreativbranche zurzeit stellen muss, doch ergeben sich auch neue Wege und Perspektiven, gemeinsam kreativ zu sein.