Kolumne

So gehen Konzerte während Corona

Konzerte waren vor Corona deutlich einfacher, doch ganz ohne Live-Erlebnis wollte auch während einer Pandemie niemand auskommen. Veranstalter*Innen mussten 2020 deswegen auf kreative Lösungen kommen - wir lassen einige davon Revue passieren.

Stehkonzert mit Abstand - The Deadnotes in Fürth

The Deadnotes am Open Air am Lindenhain in Fürth am 01.08. waren ein Konzert, wie ich es mir dieses Jahr fast nicht mehr vorstellen konnte. Es war – wie der Name schon sagt – ein Open Air in einer echt schönen Location sehr zentral in Fürth. Die Corona-Regeln wurden wie folgt eingehalten: Alle mussten Maske tragen, solange sie sich bewegen – ob zum Getränkestand oder um sich einen neuen Platz zu suchen. Wenn man einen Stehplatz gefunden hatte, an dem man genug Abstand zu anderen Personen halten konnte, durfte man die Maske abnehmen. Und durch die Einlassbeschränkung auf 100 Leute hat das so viel besser funktioniert, als ich es mir vorgestellt habe! Niemand hat gedrängelt, letztendlich standen alle mit angemessenem Abstand einfach auf der Rasenfläche vor der Bühne, manche saßen zwischendurch, andere haben den verfügbaren Platz genutzt, um alleine zu tanzen. Das war so eine schöne Alternative zu bestuhlten Konzerten oder Konzerten im Auto, wo das Livefeeling komplett flöten geht. Und wir müssen ja zugeben – außerhalb von Corona sind uns allen mal zu enge Konzerte zu viel geworden und wir haben uns aus dem Moshpit oder der Front Row nach draußen gekämpft, um nicht zerdrückt zu werden oder auch um einfach mal wieder Zugang zu Sauerstoff zu bekommen. Manchmal wäre, auch wenn die ganze Situation dann irgendwann überstanden ist, ein so entspanntes Konzert auch mal eine gute Abwechslung. Dieses Konzert war wahrscheinlich das Musikerlebnis von 2020, das am ehesten an Festival-Feeling rangekommen ist.

Live aus der Wüste — Puscifer's Release-Livestream

Ich habe tatsächlich bis jetzt quasi keins der alternativen Konzertangebote, die sich findige Veranstalter*innen so ausgedacht haben, wahrgenommen. Zum Einen, weil ich viele Formate wie das Autokino-Konzert per se relativ blöd finde. Erstmal stört mich natürlich, dass man sich eben nur sehr schwer (je nach Größe des Autos) zur Musik bewegen kann und dass der Sound über das Autoradio jetzt auch nicht unbedingt mit dem gleichzusetzen ist, was sonst aus der Anlage einer Konzertvenue dröhnt. Viel schlimmer finde ich aber, dass einem doch die räumliche Begrenzung auf das eigene Cockpit die gemeinsame Erlebbarkeit des Konzertes nimmt, und das macht für mich Live-Musik maßgeblich aus. Zum Anderen haben auch eher wenige Bands von denen ich mir ein Livestream-Konzert oder ähnliches hätte ansehen wollen, ein solches auch veranstaltet. Ende Oktober bin ich dann doch noch, mehr durch Zufall, an ein Ticket für den Album-Release-Stream der neuen Puscifer-Platte "Existential Reckoning" gekommen. Die experimentelle Rockband um Tool-Sänger Maynard James Keenan hat ihr mittlerweile viertes Album in voller Länge irgendwo in Arizona in der Wüste performt. Anfänglich skeptisch, war ich dann doch ziemlich geflasht, vor allem von der cinematographisch sehr erfrischenden Aufbereitung des Konzerts. Statt auf einer schnöden Bühne irgendwo ihr Konzert zu spielen, wechselten Puscifer durch mehrere "Sets", die alle aus aufwendigen und sehr stimmigen Licht- und Bildschirm-Installationen bestanden. Der Stream endete mit der Darbietung des Album-Closers "Bedlamite" unter der aufgehenden Sonne der Wüste Arizonas. Wenn schon Konzertstreams, dann bitte genau so!

Musik, Poesie und Comedy für einen guten Zweck - Das "Lockdown TV Special" der Libertines

Wie auch bei normalen Libertines-Konzerten nicht unüblich, findet das Event mit einiger Verspätung statt. Geplant war das Event für den 21.11.2020 auf der Plattform Arevea. Aufgrund von technischen Schwierigkeiten wurde es um eine Woche verschoben. Am 28. dann um 9 PM britischer Zeit - immer noch nichts bei vielen Zuschauern. Viele enttäuschte Fans der Libertines (darunter auch ich) aktualisieren gefühlt 100 mal die Seite und warten. Nach etwa einer halben Stunde dann die Ankündigung, dass das Ganze nun frei zugänglich als Facebook-Stream stattfindet. Für nur 4 Pfund konnte man im Vorfeld einen virtuellen "Pint" erwerben. Die Einnahmen werden an "Shelter UK", eine Wohltätigkeitsorganisation für Obdachlose, gespendet. Man kann sich das Geld zwar zurückholen, was aber aufgrund des Spendencharakters hoffentlich die Wenigsten in Anspruch nehmen. Als es dann endlich losgeht, begrüßen einen die Libertines sympathisch und freundlich aus ihrem jeweiligen Zuhause, versammelt in einem Online-Videochat. Dabei sind Pete, Carl, Gary und John, sowie die weiteren Veranstalter, der Poet Luke Wright und der Comedian Paul McCaffrey. Im Live Chat wird gefragt: "Ein Konzert von den Libertines?!" Nun, ein Konzert ist es nicht, aber dennoch sehenswert.
Das Konzept des Abends ist simpel, aber gut: Verschiedene Künstler aus den Bereichen Musik, Poesie und Comedy werden eingeladen einen Text, einen Song oder eine Vorstellung online und live von ihrem Zuhause aus zu präsentieren. So leitet Luke durch die Gedichte, Paul durch die komödiantischen Akte, während die Libertines die Musiker vorstellen. Die teilnehmenden Künstler werden dann live zugeschaltet. Neben dem schon beeindruckenden Line-Up gab es zudem noch die Möglichkeit, sich selbst zu bewerben und mit etwas Glück in der Show zu landen. Zwischendurch präsentieren die Veranstalter jeweils noch eigene Songs oder Gedichte, was vor Allem bei Pete, Carl, John und Gary (welcher ein DJ-Set vorbereitet hatte) zu Begeisterung im virtuellen Publikum führt.
Für mich als großer Libertines-Fan ist dieses Ereignis etwas ganz Besonderes. Man ist der Band sehr nahe, obwohl man zuhause im Bett liegt. Zwischenzeitlich unterhalten sie sich ganz normal und machen Witze und trotz der teilweise sehr verpixelten Bilder - John sah die Hälfte der zeit eher aus wie ein Roboter - hat man das Gefühl, hautnahe dabei zu sein. Mein persönliches Highlight ist dann gegen Ende das Simpsons-Quiz von Peter Doherty. Er hat den Lockdown wohl genutzt, um die Serie am laufenden Band zu schauen. Daran schließt sich noch ein allgemeines Quiz von Carl Barât an, in dem die Veranstalter gegeneinander antreten, was auch in den Kommentaren zu eifrigem Mitraten führt.
Die Veranstaltung war trotz des eher holprigen Starts ein voller Erfolg! Ich war sehr froh, dass ich am Ball geblieben bin, um dieses Spektakel mitzuerleben. Es war sehr inspirierend, die einzelnen Künstler vortragen zu sehen. Die gesamte Idee, Künstlern in diesen schwierigen Zeiten eine Bühne zu geben und den Menschen eine Chance, dem tristen Lockdown-Alltag für ein paar Stunden zu entkommen, ist großartig. Am meisten gefallen hat mir der Support kleinerer Bands und Poeten, wie auch die Möglichkeit selber zu partizipieren. Gegen Ende wurden auch noch ein paar unbekanntere Bands eingespielt, worunter ein paar echt coole Neuentdeckungen für meine Playlist waren. Ich kann nur hoffen, dass der "RKD WORLD SERVICE" bald noch einmal wiederholt wird!

Bierbänke im Hinterhof - Kommando Kant in Hamburg

Mein Faible für klassische Musik und mein kürzlicher Umzug in die coronatechnisch etwas liberalere Schweiz haben es mir in den letzten Monaten ermöglicht, trotz Pandemie zumindest ein paar wenige Orchester-Konzerte zu genießen. Meine Dosis Gigs aus dem popularmusikalischen Bereich habe ich seit März wiederum nur an einem Abend bekommen, und zwar beim Konzert von Kommando Kant im Backyard des Molotows. Tatsächlich war dieser Abend nach dem Lockdown der erste Auftritt, den einer der schönsten Clubs in Hamburg wieder durchführen konnte. Die Vermissung dröhnend lauter Boxen war groß, aber gleichzeitig fühlte sich an diesem Abend vieles nicht sonderlich richtig an. Das Publikum wurde an Tischen platziert, Sicherheit wurde durch Plexiglas gewonnen, einfache Dinge wie Bier kaufen oder auf Toilette gehen wurden zu einem komplizierten Akt. So blieb am Ende eines seitens der Band eigentlich tadellosen Release-Konzerts doch immer der Gedanke, dass all das hier sehr merkwürdig anmutet. Gewisse Musik gewinnt im Sitzen vielleicht sogar an Genuss - aber auch bei Max Herre, der im März in der bestuhlten Laeiszhalle gespielt hatte und mein letztes Vor-Corona-Konzert darstellte, hielt es am Ende keinen mehr. So eine Euphorie fehlt in diesem Modus eben - egal, wie sehr man sich nach einem solchen Abend gesehnt hat.

Die unsanfte Landung in einer neuen Realität - Geisterkonzerte im Livestream

Streamingkonzerte waren die erste Möglichkeit für Künstler und Veranstalter, etwas Abwechslung in die triste Leere der aufgrund der Corona-Pandemie reihenweise abgesagten Konzerte und Festivals zu bringen. Die meisten dieser Konzerte fanden auf Basis freiwilliger Spenden der Zuschauer statt und können sich in etwa so vorgestellt werden: Die Band spielt einen Auftritt in einem menschenleeren Club, alles wird regelmäßig desinfiziert und die wenigen Auserwählten, die für die Technik zuständig sind und vor Ort anwesend sein müssen, tragen Masken und dürfen nicht mitsingen. Eine Vorstellung, bei der wohl jeder und jedem von uns vor einem Jahr der Cornflakes-Löffel am Frühstückstisch aus der Hand gefallen wäre, kurz die Milch aufwischen und müde „Jaja, träum weiter“ murmeln. Doch exakt diese Vorstellung wurde bereits kurz nach der ersten Flut von Absagen und der Einsicht, dass mit keiner großen (finanziellen) Hilfe „von oben“ zu rechnen ist Realität und das Ergebnis einer von der Kulturlandschaft geforderten Kreativität und Anpassungsfähigkeit. Es mussten Lösungen her, im Rahmen des Erlaubten und Vertretbaren Geld zu verdienen.

Für mich fing alles mit den Streamingkonzerten von Montreal in Berlin an und einem Tag später von Liedfett in Hamburg an. Mein letztes "echtes" Konzert, Thees Uhlmann in Bonn, war zu diesem Zeitpunkt keinen Monat her. Wer wollte, konnte freiwillig einen Betrag ab einem Euro spenden um sowohl die Band, den Club als auch eine gemeinnützige Organisation zu unterstützen. Vom Konzert an sich konnte dabei natürlich nicht erwartet werden, Moshpits im eigenen Wohnzimmer auszulösen oder ein Stagedive-Sprung vom Sofa auf den Wohnzimmertisch zu provozieren. Dazu fehlten aufgrund der Kontaktbeschränkungen die weiteren gleichgesinnten Frauen und Männer, mit denen das alles viel mehr Spaß macht als alleine. Auf der anderen Seite wird der Vergleich mit einer Konzert-DVD dieser Form von Konzert ebenfalls nicht gerecht. Es gibt kein euphorisiertes, feierndes, singendes, tanzendes, schweißgebadetes Publikum. Beschreibungen, bei denen es mir bereits beim Aufschreiben ein wehmütiges Seufzen entlockt. Unter dem Strich bestachen die Streamingkonzerte neben der Möglichkeit, Bands und Clubs finanziell in einer existenzbedrohenden Zeit zu unterstützen durch kurze Anreisewege und günstige Getränke, die man sich einfach vorher im Getränkemarkt des Vertrauens besorgen konnte. Das Konzerterlebnis als solches war für uns eingefleischte Fans der gepflegten Livemusik zwar eine willkommene Abwechslung, aber kein vollwertiges Ersatzgefühl.

 

Modern Problems require modern solutions - Montreal im Autokino Bonn

Die Veranstalter des Greenjuice-Festivals reagierten auf die Pandemie, indem sie in der ehemaligen Hauptstadt eine Drive-In-Konzertreihe ins Leben riefen. Konzerte trotz Virus, möglich ist es. Auf einem größeren Industriegelände wurde eine große Bühne aufgebaut mit allem was dazu gehört - das Publikum jedoch fuhr mit dem Wagen vor und ließ sich in seinen Autos von der Musik berieseln. Über eine bestimmte Radiofrequenz wurde die Livemusik der Band von der Bühne in das Autoradio jedes Wagens gesendet. Dadurch konnten alle Zuschauer*innen das Konzert, hier von der Band Montreal, gemäß der Sicherheitsvorkehrungen gegen das Virus gut mitverfolgen. Einige gingen den Extra-Schritt und ließen die Musik auch über private Bluetooth-Lautsprecher laufen.

Aus dem Wagen auszusteigen war verboten, um die nötige Distanz bei Veranstaltungen zu wahren, demnach waren Gepflogenheiten wie Moshpits, Circlepits oder das einfache im Arm liegen und gemeinsam singen dort nicht möglich, doch zeigten sich alle sehr verständnisvoll. Stattdessen saßen die Gäste auf den Autotüren oder auf den Dächern, was vor allem ein besonderer Spaß für die jüngeren Gäste war. Durch Lichthupen, “normalen” Applaus oder das Trommeln auf die Karosserie wurde ordentlich Beifall gespendet. Sänger Hirsch war aber der Ansicht, dass man zwar nicht zusammen nah beisammen feiern könne, aber er könne ja zum Publikum kommen. So sprang er von der Bühne und kam der ersten Reihe so nah, wie die Umstände es erlaubten.

Der Blick von der Bühne muss ein seltsamer gewesen sein. In die Augen leblos dreinguckender Autos spielt man auch nicht alle Tage, doch sorgten alle erschienenen Gäste für die nötige Stimmung. Montreal waren sehr dankbar trotz der Pandemie spielen zu können und gaben bei Ihrer Performance ordentlich Gas. Mitsingen geht auch auf Distanz. Durch Sonniges Sommerwetter, zum Teil mitgebrachte Verpflegung und sogar einem mobilen Merchandise Stand wurde das Konzert auf andere Weise unvergesslich.