Kolumne

Das Molotow und die Hamburger Clubkultur: Ein Einblick in Krisenzeiten

Kaum eine Branche wurde in der Pandemie so schwer und so nachhaltig getroffen wie die Konzert- und -Veranstaltungswirtschaft. Vor allem die unabhängige Clubkultur scheint in Gefahr. Wir haben uns mit dem Hamburger Molotow über die Krise und deren Folgen für die Konzertkultur in Hamburg unterhalten.
Karies

Es ist nicht das erste Mal, dass das Molotow einer ungewissen Zukunft entgegenblickt. An nahezu jeder Ampel der Hansestadt findet sich ein Sticker mit der Aufschrift „Molotow Must Stay“ – ein Zeichen für die Bedrohung des Clubs, der einst in den inzwischen abgerissenen Esso-Häusern am Spielbudenplatz beheimatet war und seither in Übergangsquartiere, zuletzt am Nobistor auf der Reeperbahn, einziehen musste. Sie sind aber auch ein Beweis für die ungebrochene Wertschätzung, die dem Molotow seit vielen Jahren von seinem Publikum entgegengebracht wird. Der Club ist eine Institution. Internationale Stars haben hier gespielt, oftmals kurz vor ihrem kommerziellen Durchbruch, die White Stripes waren da und The Killers und viele weitere. Vor allem aber ist das Molotow ein essenzieller Bestandteil für die unabhängige und lebendige Clubkultur in Hamburg.

Inhaber und Betreiber ist seit 1994 Andi Schmidt, der vorher bereits als DJ im Club gearbeitet hatte. Im Gespräch verrät er, dass er trotz der Pandemie stets an des Fortbestehen des Clubs geglaubt hatte: „Wenn überhaupt haben wir nur ganz am Anfang daran gezweifelt, also in den ersten Tagen. Dann wurden die ersten Hilfsmaßnahmen von Bund und Stadt angekündigt, die zum Glück auch schnell eingetroffen sind. Leider sind viele, auch aus unserer Branche, dabei nicht berücksichtigt worden, wie zum Beispiel selbständige Techniker, Securitiy-Leute und viele mehr.“

Die festen Mitarbeiter und Minijobber des Molotows sind derzeit in Kurzarbeit, Aushilfen auf 450-Euro-Basis mussten entlassen werden. Der zweite Lockdown bedeutet auch, dass viele auf den Winter verlegte Shows nun erneut ausfallen müssen. Vor allem die Unsicherheit macht den Clubs zu schaffen, wie Schmidt schildert: „Natürlich wissen wir wie schwer es ist, in Zeiten einer Pandemie Planungssicherheit zu geben, doch für uns wäre das eine enorme Erleichterung. Mittlerweile werden aber auch viele Shows, die nun 2 oder 3 Mal verlegt wurden, komplett abgesagt, da weder die Band noch die Agentur Lust auf weitere Verschiebungen haben und nun erstmal abwarten“.

Doch hat sich auch nicht Alles zum Schlechten verändert. Vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung sieht Schmidt einen Fortschritt: „Es freut mich sehr, dass man in Hamburg jetzt Live-Musik-Clubs als Kultur sieht. Das war bis vor kurzem noch nicht so. Da haben nur Theater und Opernhäuser auf öffentliche Hilfen zählen können. Wir hoffen, dass auch nach der Pandemie der Stellenwert von Kultur, wie sie bei uns im Molotow stattfindet, weiterhin wertgeschätzt wird und der politischer Ebene bewusst wird, wie wichtig es ist, diese Kulturbetriebe zu fördern und zu unterstützen.“ Dass dieser Sinneswandel eintreten konnte, schreibt Schmidt auch der Arbeit der Hamburger Clubstiftung und des Clubkombinats zu – Verbände, die sich bereits seit langer Zeit für die lokale Clubszene einsetzen und durch die bereits Kontakte zu Behörden und Politikern bestanden. Zudem habe sich auch der Austausch zwischen den Clubs im letzten halben Jahr deutlich verbessert.

Finanziell ist das Bestehen des Molotow also vorläufig gesichert. Neben den Überbrückungshilfen von Bund und Kulturbehörde sorgen dafür auch alternative Konzertformen und Crowdfundings, zuletzt unter der Schirmherrschaft von Frank Turner und mit befreundeten Bands, die eine digitale Show aus dem Molotow streamten. Gleichzeitig ist auch klar, was diese Hilfslösungen niemals ersetzen können: „Es geht bei solchen Kulturformaten auch immer um das gemeinsame Erleben von Veranstaltungen und das Zusammenkommen kulturinteressierter Menschen, das im digitalen Raum nur bedingt möglich ist“, meint Schmidt. „Keiner arbeitet aus finanziellen Gründen in einem Konzertclub, sondern aus Leidenschaft und Überzeugung. Die ‚emotionale Bezahlung‘ im Sinne von glücklichen Gästen, schönen Konzertabenden und einer dankbaren Band am Ende des Tages fehlt schon.“

Wann solche Erlebnisse wieder möglich sein können, kann derzeit schlicht niemand wirklich beantworten. „Wir hoffen Richtung Sommer wieder Open-Air-Konzerte in unserem Backyard zu veranstalten, die den dann geltenden Hygienevorschriften entsprechen“, sagt Schmidt und fügt an: „Bis ‚normale‘ Indoor-Konzerte ohne Abstandsregelungen wieder stattfinden können, wird es wohl noch etwas länger dauern.“ Ebenso ungewiss ist derzeit, wie die Krise die Clublandschaft bis dahin verändert haben könnte: „Zum einen hoffen wir natürlich, dass alle Clubs durchhalten und Menschen, sobald es wieder gestattet ist, auch auf Veranstaltungen gehen. Gerade der Neustart in den ‚Normalbetrieb‘  wird aber bestimmt holprig. Viele Konzerte von internationalen Bands wurden ins Jahr 2022 verlegt. Dadurch wird die Nachfrage an nationalen Bands sehr groß werden und viele Venues werden sich auf die gleichen Bands stürzen. Zum anderen haben sich einige Selbständige, die für den Betrieb notwendig sind, mittlerweile anderweitig umgesehen, da die Förderprogramme hier einfach lange Zeit nicht genügend vorhanden waren.“

Wie auch immer die Hamburger Clublandschaft nach der Krise aussehen wird, eines steht bereits fest: Das Molotow wird ein Teil von ihr bleiben. Und das lässt sich jetzt sogar sicherer sagen denn je. Kurz nach diesem Gespräch wird bekannt: Der Club darf in naher Zukunft wieder zurück an seinen ehemaligen Standort am Spielbudenplatz ziehen. Molotow WILL Stay.