Interview

A Global Mess: Vom Erkunden fremder Subkulturen

Subkulturen haben gerade deswegen ein so einzigartiges Flair, weil sie etwas abseits des Radars stattfinden. Wie also soll man Szenen kennenlernen, die nicht gerade vor der eigenen Haustür liegen? Diana Ringelsiep und Felix Bundschuh sind einfach hingefahren – und haben den Punk in Südostasien kennengelernt.
A Global mess

„Wir haben uns immer sehr willkommen gefühlt. Die Leute erkennen ja auch, mit welcher Intention du dahin gehst. Man hat uns schließlich angesehen, dass wir ein Punkrockkonzert sehen wollten, weil wir das selbst geil finden“, beginnt Felix Bundschuh von einem abenteuerlichen Trip zu berichten, von dem er seit einiger Zeit mit seiner Kollegin Diana Ringelsiep vielen Menschen erzählt. Erst vor wenigen Wochen ist der vorerst letzte Termin zur „A Global Mess“-Tour vorbeigegangen, auf der Diana und Felix am laufenden Bande Vorträge über ihren Trip nach Südostasien hielten. Zeit, erstmal etwas herunterzufahren – doch im Gespräch wird deutlich, wie präsent die Erlebnisse der beiden nach wie vor sind.

Diana und Felix lernen sich bereits vor einigen Jahren bei People Like You Records kennen, wo sie gemeinsam arbeiten. Zwischendurch trennen sich die Wege der beiden vorerst: Diana schlägt eine Karriere als Journalistin ein, Felix arbeitet als Musikmanager. Anfang 2018 kündigen beiden ihre Jobs. Felix plant, nach Südostasien zu reisen und will dort nicht nur für sich selbst neue Erfahrungen sammeln, sondern denkt über einen Bildband über die dortigen Subkulturen nach. Doch bei ein paar Gläsern Wein beginnt das Projekt, größere Formen anzunehmen: Diana und Felix gehen gemeinsam auf Reisen und schreiben sammeln während ihres Aufenthalts nicht nur Eindrücke für ein gemeinsames Buch, sondern drehen darüber hinaus einen Dokumentarfilm. Sogar ein Sampler mit südostasiatischer Punkmusik erscheint als Ergebnis des Unternehmens.

Obwohl die Eckpunkte der Reise grob gesteckt sind, ergibt sich das Meiste spontan vor Ort. „Mein erster Stop war in Hongkong“, erzählt Felix vom Beginn der Reise, den er zunächst alleine bestreitet. „Da habe ich mich mit jemandem getroffen, der das Szene-Webzine Uniteasia.org betreibt. Dort werden alle möglichen Arten harter Gitarrenmusik besprochen, egal, aus welchem asiatischen Land sie kommt. Der konnte mir in Hongkong schon einen guten Überblick geben.“ Diana steigt in Singapur ein, sie hat einen Kontakt zu der feministischen Hardcore-Band Renegades. Über diese Anfangskontakte bildet sich allmählich ein Netzwerk, an dem sich die beiden während ihrer Reise entlanghangeln. „Wir sind natürlich aufgefallen und jeder hat uns gefragt, was wir hier machen“, beschreibt Diana ihre Wahrnehmung der zahlreichen Shows, die die beiden in den verschiedenen Ländern besucht haben. „Das erste Konzert in Singapur fand in einem verlassenen Einkaufszentrum statt, da kommt man als Tourist eben auch nicht mal so zufällig vorbei. So sind wir immer ins Gespräch gekommen und hatten am Ende des Abends immer wieder zehn neue Kontakte.“

Insgesamt führt die Reise Diana und Felix durch sechs Stationen: Hongkong, die Philippinen, Indonesien, Singapur, Malaysia und Thailand. Teilweise sind die Szenen auch über die Ländergrenzen hinaus verbunden, sodass sich die Route auch über weitere Strecken ergibt. „Alles in allem sind die Szenen sehr westlich geprägt“, beschreibt Diana den Charakter der Punkbands in Südostasien. „Bei uns ist die Punk-Kultur ja auch von US-Punk oder UK-Punk geprägt und die Vorbilder sind die selben – seien es die Ramones, die Sex Pistols oder Rancid. Die meisten Bands singen auch auf Englisch. Natürlich bringen die asiatischen Bands aber auch ihren eigenen Alltag und ihre Themen mit. In Indonesien war Religion ein großes Thema, in Singapur Feminismus, woanders dann Kapitalismuskritik.“

Die westliche Orientierung der Szenen ist ein Zeugnis unserer globalisierten Welt. Die Punkkultur in Asien ist darüber hinaus aber auch ein Beweis dafür, wie schnell sich Subkulturen auch schon vor Zeiten des Internets verbreiten konnten. So entstanden die ersten Szene in Asien in den 80ern fast zeitgleich mit denen in Europa – trotz geographischer Distanz. „Der Sohn eines philippinischen Botschafters hat wohl damals mit seinem Vater in Großbritannien gelebt“, erzählt Felix etwa eine Geschichte, die mit den Pioniertagen des dortigen Punks zusammenhängt. „Der hat in den 80ern schon Sachen wie die Sex Pistols auf die Philippinen gebracht und hat Phänomene wie Fanzines einfach kopiert. Man unterschätzt, wie schnell solche Bewegungen wachsen können.“ „Häufig haben immer alle von Green Day gesprochen“, ergänzt Diana. „Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass die 1994 mit „Dookie“ die erste große amerikanische Punkband waren, die in Asien auf Tour gegangen ist. Da sind wohl viele Leute zum ersten Mal mit Punkrock in Berührung gekommen.“

Trotz altbekannter Vorbilder haben die südostasiatischen Szenen doch einen eigenen Charakter. Die kulturelle Abstinenz von Alkohol sorgt in Indonesien etwa für einen interessanten Kontrast zur hiesigen Kultur. „Die Leute dort waren wirklich beinhart, haben Nietenjacke und Iro getragen“, beschreibt Felix die Menschen auf den dortigen Shows. „Trotzdem wurde nicht ein Tropfen Alkohol getrunken. Das war für mich anfangs tatsächlich ungewohnt. Man hat aber relativ schnell gemerkt, dass die Stimmung genau die selbe ist. Der ganze Look, diese ganze Ekstase hat stattgefunden. Das ist etwas, was du hier nicht erleben kannst. Auch Hardcore-Straight-Edge-Konzerte haben da nicht die selbe Mentalität. Den Leuten dort fällt dieser Kontrast ja überhaupt nicht auf, die trinken ja einfach nie.“

Auch in den Zusammensetzungen der Szenen entdecken Diana und Felix Unterschiede im Vergleich zu den europäischen Subkulturen. „Die einzelnen Underground-Kulturen greifen oft viel stärker ineinander als bei uns“, berichtet Diana. „Wir sind oft auf Konzerten gewesen, wo erst ein Rapper auf der Bühne stand, alle mitgemacht haben und direkt danach eine Sex-Pistols-Coverband kam. Alles fing an zu pogen und danach kam eine Metal-Band auf die Bühne. Man hat den Eindruck, dass sich die Leute dort als ein Underground und nicht als ‚die Punks‘ verstehen. Die haben sich gegenseitig schon sehr unterstützt – wahrscheinlich wären sie an einigen Orten sonst auch zu wenig gewesen.“

So romantisch der Zusammenhalt in der Szene auch ist, so präsent sind auch regelmäßig politische Restriktionen, die in den Ländern vorherrschen und die Einfluss auf die Bands in Südostasien haben. „Auf den Philippinen ist die Situation alles andere als witzig“, meint Felix. „Dort haben mir mehrere Leute versichert, dass man irgendwann von der Bildfläche verschwindet, wenn man sich öffentlich gegen den Präsidenten äußert. Nach manchen Interviews haben mir Menschen auch gesagt, dass sie sich an einigen Stellen zu krass geäußert hätten und dass ich das rausnehmen soll. Da ist die Angst schon sehr groß.“ So muss man sich immer vor Augen führen, dass Punk und Underground eben nicht immer die kommerzialisierten Abziehbilder ihrer selbst sind, die man heute gerade in Europa vermehrt antrifft. Viel zu viele Menschen müssen immer noch kämpfen. Damals wie heute.